Rezension zu »Wir sind das Licht« von Gerda Blees

»Wir sind Licht, Wir sind Liebe, Wir sind Klänge überall, Wir sind Zellen voller Leben, Wir sind nichts, Wir sind das All.«

Als der gerufene Notarzt in der Wohngemeinschaft »Klang und Liebe« eintrifft, glaubt er seinen Augen kaum, denn: Die Tote Elisabeth scheint zu Tode verhungert zu sein. Ihre Mitbewohner*innen Petrus und Muriel sowie Elisabeths Schwester Melodie sehen ebenfalls abgemagert und kaum besser aus als Elisabeth. Der Notarzt, dem die Umstände von Elisabeths Ableben und die gesamte Wohnsituation verdächtig vorkommen, weigert sich, einen natürlichen Tod festzustellen. Die Polizei rückt an, Melodie, Petrus und Muriel werden vorläufig festgenommen und die Ermittlungen beginnen. 

Ich habe zu Wir sind das Licht gegriffen, weil ich die Storyline interessant fand und herausfinden wollte, wie es passieren konnte, dass Elisabeth schlicht und einfach verhungert ist. Mein erster Gedanke war eine Wohngemeinschaft von Menschen mit Essstörung, die sich gegenseitig auf ihrem Weg zum Hungertod unterstützen. Doch die Wahrheit ist viel grausamer: Die Wohngemeinschaft lebt nach dem Konzept der »Lichtnahrung«, eine fehlgeleitete Denkrichtung, die propagiert, dass der menschliche Körper zum Leben einzig und allein Licht und Liebe brauche, während Nahrung in jeglicher Form den Geist eher vergifte und den spirituellen Zugang zum eigenen Selbst verhindere. Unter der Leitung von Melodie, die sich sehr schnell als eine Art spirituelle Anführerin der Gruppe herausstellt, und einem Ehepaar in den USA, das diesen Lifestyle zum eigenen finanziellen Nutzen verkauft, ging es für die Bewohner*innen der Wohngemeinschaft mehr und mehr bergab, nachdem sie an einem 9-Tage-Fasten-Workshop teilgenommen haben. Denn und das möchte ich hier einfach mal in aller Deutlichkeit sagen, weil ich so perplex war davon, dass Menschen tatsächlich glauben können, der Körper könne ohne Nahrung leben: Nein. Kann er nicht. 

Mich hat dieses Buch nicht mehr losgelassen. Petrus, Muriel und Elisabeth sind/waren alles Personen mit einer labilen Psyche, psychischen Problemen und Unsicherheiten, die es ihnen schwer gemacht haben, ein normales Leben zu führen. Melodie versprach Heilung, zumindest aber Hilfe. Und sie gaben sich ihr hin, folgten ihr, zweifelten wenig. Selbst dann nicht, als Aufhören zu Essen zur spirituellen Reinigung von Melodie als neue meditative Methode vorgeschlagen und eingeführt wurde. Gleichzeitig war ich fassungslos von den Menschen da draußen, die anderen zum eigenen Profit derartige lebensbedrohliche Konzepte verkaufen. Eine kurze Google-Suche hat mir verraten: Ja, das Konzept der Lichtnahrung gibt es wirklich. 1999 starb beispielsweise eine Australierin aufgrund einer Lichtnahrungs-Kur.* Wir sind das Licht handelt von fehlgeleiteten mentalen Heilungskonzepten, von Fügung und Kontrolle. Wunderbar geschrieben auf eine ganz besondere Art. Denn jedes Kapitel beginnt mit den Worten »Wir sind ...«. Der Tatort, Zigaretten, Weißbrot, die Familie der Toten und und und. So zutreffend, für mich könnte sich Weißbrot tatsächlich so anhören, würde man ihm eine Stimme geben. Ein trauriger, bewegender Roman über eine andere Art des menschlichen Abgrunds.




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Daten zum Buch
Titel: Wir sind das Licht
Autor*in: Gerade Blees
Sprache: Deutsch
Aus dem Niederländischen übersetzt von Lisa Mensing
Verlag: Zsolnay
Hardcover | 237 Seiten | ISBN: 978-3-552-07274-9

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