Rezension zu »Taumeln« von Sina Scherzant

»Natürlich sind in dieser Welt nicht nur die Schönen in Gefahr. Am Ende geht es immer um Macht und Kontrolle und verletzte Männeregos.«

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass Hannah spurlos verschwunden ist. Zwei Jahre, in denen Luisas Leben zum Stillstand gekommen ist. Das Studium abgebrochen, wieder bei den Eltern eingezogen, Träume nicht mehr greifbar, der Alltag ein Warten. Der Vater kommt eher schlecht als recht über die Runden und die Mutter befindet sich seit geraumer Zeit in medizinischer Betreuung. So bleibt nur Luisa, die nach Hannah sucht. Zwei Jahre, in denen Luisa jeden Samstag mit einer Gruppe von sieben Menschen den Wald am Ende der Straße durchwandert, auf der Suche nach Hannah oder doch zumindest einer Spur. Früher waren es mal mehr Menschen, doch die Zeit hat Spuren hinterlassen. Noch immer wollen alle wissen, wo Hannah ist. Luisa, ihre Familie, eigentlich das ganze Dorf. Aber suchen, suchen wollen nur noch Luisa und diese sieben Menschen. Es sucht Inge, die im Wald den Ton angibt und zuhause still leidet. Es sucht Frank, der seinen Herzschmerz vor der Welt verbirgt. Es sucht Amaka, die eigentlich auf der Suche nach jemand ganz anderem ist. Es sucht Emma, die verdrängen will, wie allein sie sich fühlt. Es suchen Hartmut, um nicht im Haus zu sein, das seit dem Tod seiner Frau so einsam ist. Es suchen Enrico und Christina. Doch wie findet man jemanden, dessen Verschwinden keine Spuren hinterlassen hat? Und wie lässt man das Suchen und Warten los und beginnt wieder zu leben?

»Hoffnungslosigkeit muss man sich leisten können.«

»Taumeln« ist ein stilles Buch, das durch seine durchdachte, gefühlvolle und poetische Stimme besticht. Es ist dieser Schreibstil Scherzants, der mich bereits bei ihrem Debüt »Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne« für sich eingenommen hat. Auch hier jetzt wieder: Kein Wort zu viel, wohlplatzierte Gedanken, die einen mitnehmen in diese Geschichte. Bei »Taumeln« steckt alles im Titel. Es ist ein Taumeln durchs Leben, durch die Gefühle, durch den Alltag von Luisa und ihrer Gruppe aus Sieben. Ein*e jede*r sucht für sich und doch suchen sie gemeinsam. Die Gruppe ein Rettungsanker, gegenseitiger Halt, eine gemeinsame Mission und Hoffnungsschimmer. Es ist ein Taumeln auch durchs Buch, in wechselnden Absätzen springen wir hin und her zwischen der jetzigen Luisa, der vergangenen Luisa und den Sieben. Einzelne Geschichten von Trauer, Schmerz und Schicksalsschlägen. Es ist ein melancholisches Buch und es ist ein wohliges Buch. Denn trotz der Schwere ist es leicht. Es ist dieser Gruppe willkürlich zusammengewürfelter Menschen zu verdanken. Wir begleiten sie, beim Schwinden der Hoffnung, beim Wiederentdecken, dabei, wie etwas ganz Neues entsteht. Wir taumeln mit ihnen. Ein traurig-schönes Buch vom Suchen, vom Finden und vom Loslassen. 




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Daten zum Buch
Titel: Taumeln
Autor*in: Sina Scherzant
Sprache: Deutsch
Verlag: Park x Ullstein
Hardcover | 320 Seiten | ISBN: 978-3-98816-016-4

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