Rezension zu »Dirty Diana – Das Erwachen« von Jen Besser & Shana Feste

»Wir haben seit einer gefühlten Ewigkeit denselben Sex mit demselben Fünfminutenvorspiel und in denselben Stellungen. Warum fällt es mir also plötzlich so schwer mitzuspielen?«

Ein toller Ehemann, eine liebenswerte Tochter, loyale Freundinnen, ein schönes Haus, ein gut bezahlter Job, in den sie einst hineingerutscht und dann geblieben ist. Das Leben könnte es wahrlich schlechter gemeint haben mit der 41-jährigen Diana. Und doch fehlt da etwas: Seit einer Ewigkeit hat Diana keine Kunst mehr erschaffen; ihr Traum davon, als Künstlerin erfolgreich zu werden, ist mit dem Leben, das sie sich mit Oliver aufgebaut hat, eingeschlafen. Aber die Sehnsucht schlummert noch immer in einem versteckten Teil von ihr. Was auch schlummert: Die Intimität, die Leidenschaft zwischen Oliver und ihr. Obwohl sie ihn und ihre Familie liebt und genau da sein möchte, wo sie ist, vermisst sie doch das Begehren, das Unerwartete und Überraschende, Sexualität der Begierde wegen. Seit Monaten haben sie und Oliver nun schon nicht mehr miteinander geschlafen, obwohl Oliver es regelmäßig versucht. Doch die immergleichen Bewegungen und Abläufe, die doch nur seiner echten und ihrer gefakten Befriedigung dienen, haben ihre Lust mit der Zeit erlöschen lassen. Während sie Oliver mangels einer glaubhaften Begründung also tun lässt, was er immer tut, fragt sich Diana, ob er überhaupt weiß, was ihr gefällt. Ob er ihre Sehnsüchte, Wünsche und Fantasien kennt, ob er sie wirklich kennt. In der Zeit danach erwischt sich Diana immer häufiger dabei, an ihr früheres Selbst und ihre Kunst zu denken. Sie denkt an die Tapes, die sie vor langer Zeit für ein Projekt aufgenommen hat und die nun in einer Schachtel versauern. Tapes, auf denen Frauen ihr von ihren erotischen Fantasien und Erlebnissen erzählt haben. Als sie auf einem Trödelmarkt überraschend auf ein Bild stößt, wird die Tür in ihre Vergangenheit vollends aufgestoßen: Das Bild stammt von Jasper, einem inzwischen erfolgreichen Künstler, mit dem Diana nicht nur ihre eigenen künstlerischen Anfänge, sondern eine leidenschaftliche und lang zurückliegende Beziehung verbindet. Es ist, als würde die Welt Diana wachrütteln und sie dazu auffordern, wieder auf ihre Sehnsüchte zu hören. So beschließt sie, wieder mit den Tapes anzufangen, um den heimlichen Fantasien anderer Frauen Gehör zu verschaffen und dadurch, ganz vielleicht, die Erotik zwischen ihr und Oliver neu zu entfachen.

»Es macht mir eigentlich nichts aus, über Sex zu sprechen. Ist es der Mangel an Sex, über den ich nicht sprechen kann?«

»Dirty Diana – Das Erwachen« zu lesen, war sogar noch besser, als ich mir erhofft habe. Dieser Roman ist weiblicher Text vom Allerfeinsten: ehrlich, mutig, ungeschönt, unzensiert, hautnah, gefühlvoll, mitreißend, sprachlos, wütend, hoffnungsvoll, heiß. Er ist alles, was Frauen sind, sein können, nicht sein dürfen. Dieser Auftakt einer Reihe, von der ich jede einzelne Seite lesen muss, ist ein faszinierender Einblick in weibliches Erleben und thematisiert alle, was ein Leben ausmachen kann: Es geht um Mutterschaft, ums Eheleben, um die Beziehung zu Freundinnen und anderen Menschen, um die Schönheit und die Probleme von Langzeitbeziehungen, um Karriere, um gelebte und aufgegebene Träume, um das Frausein, um Erotik, Begehren, Sex und Ehrlichkeit. Es gibt wunderbarerweise immer mehr Bücher aller Genres, die weibliches Begehren ins Zentrum stellen, ein Female Gaze, kein männlicher. Darin geht es um Frauen wie Diana, oft im mittleren Alter, die sich endlich trauen, herauszufinden, was sie wollen, wer sie sind oder sein könnten, wen sie begehren, wie sie gesehen und berührt werden wollen – es geht um weibliches Erwachen und Selbstermächtigung, in sexueller wie persönlicher Hinsicht. Und ich liebe diese Bücher. Weil sie Tabus brechen, Grenzen verschieben, Spielräume schaffen. »Dirty Diana« ist eines dieser Bücher und aus meiner Sicht ein besonders gelungenes und bereicherndes. Weil es aufzeigt, wie Gefühle, Entscheidungen und Erfahrungen zusammenspielen, sich gegenseitig beeinflussen. Weil eine Ehe skizziert wird, wie sie wohl zuhauf existiert. Weil die sich verändernde erotische Anziehung in Langzeitbeziehungen universell ist und Sex ein Thema, das immer noch viel zu viele Tabus zu brechen hat. Weil Diana und Oliver sich echt anfühlen, Fehler begehen, und versuchen, herauszufinden, wie ihre Beziehung zukünftig aussehen soll.

»Was, wenn es eine Version von uns als Paar gibt, in der wir uns gegenseitig erzählen, was wir wirklich wollen? Ist es dafür schon zu spät?«

So vereint »Dirty Diana« das individuelle Empfinden und Erleben einer Frau mit den Erfahrungen vieler Frauen – im Text und darüber hinaus. Die im Buch beschriebenen Fantasien und Sexszenen sind darüber hinaus realistisch und ohne Euphemismen, sie sind erotisch und eröffnen einen unzensierten Einblick in weibliches Begehren. Kurzum: Dieser Roman hat mich von Anfang bis Ende begeistert. Ich habe Diana in mein Herz geschlossen und kann es jetzt schon nicht erwarten, wie ihre Reise weitergeht!

»Noch nie hat jemand versucht, mit der Geografie meines Körpers so vertraut zu werden wie du.«




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Daten zum Buch
Titel: Dirty Diana – Das Erwachen
Autor*in: Jen Besser & Shana Feste
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Längsfeld
Verlag: Rowohlt Polaris
Paperback | 320 Seiten | ISBN: 978-3-499-00742-2

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