Rezension zu »Hundswut« von Daniel Alvarenga

1932, irgendwo in der bayerischen Provinz. In München keimt der Nationalsozialismus auf. Doch hier auf dem Dorf interessiert nicht, was in der fernen Hauptstadt vor sich geht, hier herrscht noch Ruhe und Ordnung, die Dinge nimmt man selbst in die Hand. Als vier Jugendliche auf bestialische Weise im Wald ermordet aufgefunden werden, kehrt Unruhe ein ins Dorf. Ein Wolf, vermuten die Bewohner*innen, vielleicht gar ein tollwütiger, auf den Geschmack nach Menschenfleisch gekommen. Schnell will der Gemeinderat die Geschichte vom Tisch haben, die Ruhe soll zurückkehren, die Jagd nach dem Wolf beginnt. Je länger die Suche nach dem Wolf erfolglos bleibt, desto mehr Gerüchte gehen um, die Verletzungen passen nicht zu einem Tierangriff. Ein Schuldiger muss her, in Joseph Köhler findet der Gemeinderat einen günstigen Verdächtigen, ist er ihnen doch seit jeher ein Dorn im Auge. Der Köhler, der früh das Dorf hinter sich ließ, um mehr aus sich zu machen, und dann doch wieder kommen musste. Ein Quasi-Zugezogener, gebildeter als die meisten im Ort, von zu viel Glück als möglich gesegnet, bis er durch ungeklärte, mysteriöse Umstände seinen kleinen Sohn verlor und dann auch die Frau; ein gebrochener Mann, nur die Tochter ist ihm geblieben. Seitdem ein Leben als Einsiedler, ausgeschlossen vom Rest des Dorfs, alles an ihm: suspekt. Doch der Köhler wird nicht müde, seine Unschuld zu beteuern und die Stimmung im Dorf heizt sich weiter auf. Da bringt Dorfpfarrer Hias den mittelalterlichen Hexenhammer ins Spiel. Ein Dorf, das sich selbst zurück ins Mittelalter versetzt. Ereignisse werden in Gang gesetzt und ein Lynchmob formt sich, der auch vor Köhlers Tochter nicht mehr Halt zu machen scheint. Ein Dorf im Ausnahmezustand, gefangen in Bigotterie, Wahn und einem fehlgeleiteten Gerechtigkeitssinn. Es sind die gern übersehenen Ehefrauen der Dorfoberhäupter, die verzweifelt versuchen, das scheinbare Unvermeidliche doch noch aufzuhalten, ohne dabei selbst ins Kreuzfeuer des Hasses eines ganzen Dorfs zu geraten.

»Hundswut« ist anders. Düster, mystisch, grausam. Ein Buch, das einen fassungslos zurücklässt, noch immer gefangen tief unten in der Dunkelheit. Man kann sich den Ereignissen nicht entziehen, dieses Buch reißt einen immer tiefer hinab in einen Strudel aus Dunkelheit und Wahn. Irgendwo an der Schnittstelle aus Roman, Krimi und Thriller erzählt »Hundswut« eine Geschichte über menschliche Abgründe. Beim Lesen hat mich eine derart bedrohliche Atmosphäre erfasst und bis zum Ende nicht mehr losgelassen, wie ich es selten erlebt habe. Ich war in diesem Buch, sah den verheißungsvollen Nebel über dem finstren Wald, hörte das bedrohliche Rascheln der Blätter, fühlte den kalten Windhauch im Nacken kitzeln und die Gänsehaut, die sich von da aus über den Körper ausbreitete. Kopfschütteln, Unglauben, Verzweiflung, Wut. Beim Lesen fühlte ich alles. Ein authentischer Roman, der mich nicht zuletzt durch den Dialekt in der wörtlichen Rede knapp ein Jahrhundert zurückkatapultiert und die Geschehnisse viel zu nah hat miterleben lassen. Ein Jahrhundert früher. Und doch so aktuell wie nie. Es braucht so wenig, um die Menschen aufzubringen, um Angst und Hass zu schüren, um die Dinge außer Kontrolle geraten zu lassen. Damals wie heute. Ignoranz und Übermut, die wie Tollwut um sich greifen und ein Lauffeuer entfachen, das sich nicht mehr einfach löschen lässt, Hexenjagd um der Jagd willen. Täter*innen – durch Taten und durch Schweigen, durchs dabei Stehen und stumm Erdulden, durch die perverse Umkehr von richtig und falsch. Auferlegte Schuld, ungeleistete Sühne, damit leben müssen. Die Macht der Menge, die Macht der Panik.

»Hundswut« packt dich. Lass es zu, es lohnt sich.




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Daten zum Buch
Titel: Hundswut
Autor*in: Daniel Alvarenga
Sprache: Deutsch
Verlag: Harper Collins
Hardcover | 368 Seiten | ISBN: 978-3-365-00672-6

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