Rezension zu »Trophäe« von Gaea Schoeters

»Sein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft, alle Sinne sind bis zum Äußerten angespannt; all der Ballast der Zivilisation fällt von ihm ab. Das hier, das spürt er, bedeutet leben. Hier, die Gefahr zum Greifen nahe, kann er sein, wer er wirklich ist. Er, Hunter, Mann.«

Hunter White hält, was sein Name verspricht. Der steinreiche Amerikaner entstammt einer alten weißen Jägerdynastie und ist benannt nach John Hunter, einem der bedeutendsten Jäger überhaupt, mit dem Hunters Großvater im Afrika von Früher gejagt hat. Auch Hunter teilt das Jagdfieber seiner Vorfahren, das ihm von Geburt an eingeflöst wurde. Jetzt reist er wieder nach Afrika, voller Vorfreude darauf, endlich die Big Five vollzumachen. Die Trophäen von Elefant, Büffel, Löwe und Leopard zieren bereits seine Villa, was ihm zum Glück noch fehlt ist ein Spitzmaulnashorn, dessen Schädel er seiner Frau als Geschenk versprochen hat. Nun endlich soll es so weit sein. Für viel Geld hat er die Jagdlizenz erworben, über Strohfirmen, um seine Ruhe vor den Tierschützer*innen zu haben. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund, Berufsjäger und Besitzer des Grundes, auf dem sein Nashorn auf ihn wartet, wird er auf Jagd gehen. Seine Sinne sind geschärft, sein Gewehr abschussbereit, die begierige Erregung der Vorfreude durchströmt seinen Körper. Eine Erregung, die bald dem Gefühl von Ernüchterung und Wut folgen wird, denn Wilderer durchkreuzen seinen Weg und reißen ihm die Tötung seines Nashorns direkt unter den Fingern weg. Er fühlt sich betrogen, ihm wurde verwehrt, was rechtmäßig sein ist. Sein Nashorn, einfach erschossen von jemand anderem. Als Entschädigung macht ihm Van Heeren ein Angebot, das nur wenige bekommen: Ob er schonmal von den Big Six gehört habe? Der Mensch als das gefährlichste, gerissenste Raubtier von allen. Es ist ein unerwartetes Angebot, verwerflich, schockierend, falsch und doch ... so verlockend. Je länger Hunter die jungen Afrikaner beobachtet, die auf die ursprünglichste Art der Stammestradition folgend jagen, verschmelzen mit der Natur, ein Raubtier auf Beutefang, desto intensiver wird Hunters Jagdtrieb. Er weiß, er wird jagen. Er weiß, er muss töten. Er spürt, dass dieser Junge die ultimative Trophäe sein wird. Unter der heißen Sonne Afrikas verliert sich Hunter bald in einem fiebrigen Strudel aus Gier, Jagdfieber und Selbstüberschätzung.

»Der junge Jäger verkörpert vollendete Schönheit: durch und durch Muskelkraft und Geschmeidigkeit, seine Bewegungen anmutig und tödlich zugleich. Der Junge ist ein Raubtier. Ein prächtiges Raubtier.«

Es gibt Bücher, die machen etwas mit einem. Ich bin nicht mehr die, die ich vor »Trophäe« war. Es gibt kein Zurück mehr. Was ich gelesen habe, lässt sich nicht ungelesen machen, lässt sich nicht mehr vergessen. Ich habe noch keinen Roman gelesen, der so viel von mir eingefordert, so viel von mir genommen hat. »Ich fühle mich schuldig, ich bin angewidert, mir ist schlecht, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll, denke gleichzeitig zu viel und finde doch keine Worte.« Dieser Satz ist einer meiner zahlreichen Notizen, die ich mir beim Lesen gemacht habe und ich fühle es noch immer. Selten habe ich so bewusst gelesen, langsam und bedacht, jedes Wort in mich aufnehmend, Fährtenlesen. Obwohl ich wegschauen wollte, die Augen verschließen, wusste ich doch, dass ich nicht darf. Dass es wichtig ist, hinzusehen. Dass hier eine Geschichte von enormer Bedeutung erzählt wird. Ich weigere mich, aber ich verstehe leider auch. Wie diese Welt funktioniert. Wie der Rest der Welt auf Afrika blickt.

»Für ihn ist Afrika ein großes Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten.« 

Hunters Wahrnehmung des Kontinents könnte nicht weiter weg sein von der Realität. Er romantisiert, träumt sich hinein in ein ursprünglicheres Afrika, das von Männern wie ihm und seinen Vorfahren zerstört wurde und immer noch wird. Nein, Hunter befindet sich nicht in Afrika. Hunter befindet sich in einer Illusion, geschaffen von und für weiße Männer, die sich nehmen, was sie wollen. Hunter befindet sich in einem postkolonialen feuchten Traum, eine Wichsvorlage für seine toxisch maskuline Gier und das Bedürfnis, sich überlegen zu fühlen. Hunter als Prototyp westlicher Ignoranz und Arroganz. Eine Anspruchshaltung, tief verankert in seiner DNA, entstanden und anerzogen durch jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung anderer. Verschwimmende Grenzen, was unterscheidet einen afrikanischen Jungen am Ende des Tages schon von einem Nashorn? Beides ist Beute, wenn er das möchte. Denn er ist kein Tier wie die beiden, er ist Mensch, er ist weiß, er ist männlich. Die Welt liegt ihm zu Füßen, die Welt gehört ihm.

»Die Befriedigung liegt nicht so sehr im Töten, sondern in der Unterwerfung der Beute: in der Bestätigung unserer Vorherrschaft über alles andere Leben.«

»Trophäe« ist eine bild- und sprachgewaltige Erzählung vom endlosen Kampf zwischen Mensch und Natur, der menschlichen Gier und einer Welt im Widerspruch und Ungleichgewicht. Ich finde sie verabscheuungswürdig, die Trophäenjagd. Und weiß gleichzeitig doch, dass wir als Menschheit eine Welt geschaffen haben, in der nur von Bedeutung ist, was mit einem Preisschild versehen werden kann. Je höher der Preis, desto schutzwürdiger. Leben wir also damit, regelmäßig für horrende Summen das Leben eines wunderschönen, vom Aussterben bedrohten Tieres für den Höchstbietenden zur Tötung zu versteigern, weil wir wissen, dass durch diese Summen die ganze Art vor der Auslöschung bewahrt werden kann? Ist das richtig, dieser Tod des einen für das Überleben vieler? Welchen Wert messen wir Leben bei? Wie weit ist der Schritt von einem Säugetier zum nächsten? Finden wir heraus aus dieser Weltanschauung und einen besseren Weg? Geben wir all jenen endlich zurück, was unsere Vorfahr*innen ihnen grausam entrissen haben? Oder belassen wir alles so, wie es ist?

»Dieser vollkommene Teil der Schöpfung wartet seit Anbeginn der Zeit darauf, entdeckt zu werden. Auf den Menschen. Auf ihn. Das hier ist sein Jagdgebiet. Hier wird er seine Beute jagen. Seine Trophäe schießen. Die sechste. Die seltenste. Die gefährlichste.«

»Trophäe« hat mich wie kein Buch zuvor gezwungen, mich auseinander zu setzen mit meinen Privilegien, meiner Herkunft. Es hat mich gezwungen, mich von meiner anlernten, anerzogenen Moral zu lösen. Es hat mir schmerzhaft und direkt vor Augen geführt, dass Moral ein Nebenprodukt einer westlichen, privilegierten Gesellschaft ist. Dass Moral nicht greift, wenn es ums nackte Überleben geht. Dass unsere Moral nichts ist, das wir dem Rest der Welt aufdrücken können und dürfen. Weil sie dort nicht funktionieren muss und kann. Weil wir aufhören müssen, uns als die Krone der Schöpfung zu betrachten und uns über andere zu erheben. 

»Trophäe« ist brutal, intensiv, grausam und schön Dieses Buch kann und darf einen nicht kalt lassen. 




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Daten zum Buch
Titel: Trophäe
Autor*in: Gaea Schoeters
Sprache: Deutsch
Aus dem Niederländischen übersetzt von Lisa Mensing
Verlag: Zsolnay
Hardcover | 256 Seiten | ISBN: 978-3-552-07388-3

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