Rezension zu »Die vorletzte Frau« von Katja Oskamp

»Ich rechnete in Gedanken vor mich hin und umkreiste die Frage, ob alles anders gekommen wäre, wie es gekommen war, wenn Tosch während der neunzehn Jahre nicht krank und ich während der neunzehn Jahre nicht alt geworden wäre.« 

Als sie Tosch kennenlernt, ist sie jung und er fast schon alt. Als sie ihn kennenlernt, ist er ein gefeierter 49-jähriger Schriftsteller, während sie mit 30 Jahren noch ganz am Anfang ihres Schreibens steht. Als sie ihn kennenlernt, ist er geschieden und gefestigt im Leben und sie überforderte Mutter einer kleinen Tochter, unzufrieden und eingeengt in einer nicht-funktionierenden Ehe und einem austauschbaren Reihenendhaus. Als sie ihn kennenlernt, fühlt sie sich hingezogen zu ihm und er sich zu ihr. Was zwischen ihnen entsteht, ist mehr als nur Liebe und Leidenschaft. Es ist ein „einander zumuten“, mit allen Ecken und Kanten. Es ist eine Partnerschaft, die nach ganz eigenen Regeln funktioniert. Teils Mit-, teils Nebeneinander; teils Leidenschaft, teils Freundschaft; teils zusammen, teils getrennt. Er erhält sich seine Freiheit, sie sich ihre Mutterrolle. Sie wird seine Geliebte, seine Vertraute und seine Schülerin. Texte und Sex. Ihm steht sein Ego im Weg als ihre Texte mehr Aufmerksamkeit erhalten als seine. Aber sie funktionieren und harmonieren, irgendwie, in ihrer eigenen Tonalität. Später wird er krank, erhält eine Diagnose, die Misstöne in den Alltag bringt und die Beziehung auf die Probe stellt. Sie, jetzt nicht mehr Geliebte, sondern Pflegerin. Er, nicht mehr gefeierter Professor, sondern bettlägerig und krank. Es beginnt eine Zeit des Abschieds und eine Zeit des Neuanfangs. 19 Jahre trennen die beiden, 19 Jahre verbringen die beiden gemeinsam. Sie, seine vorletzte Frau.

»Virtuos jonglierten wir mit dem Auftrag, uns einander auf Gedeih und Verderben zuzumuten mit allen Meisen und Absonderlichkeiten.« 

»Die vorletzte Frau« ist ein sehr persönliches Buch über die Liebe, das Leben und Veränderungen. Eine Aneinanderreihung von Lebensausschnitten, Gedanken und Gefühlswelten, die zusammen genommen eine Lebensgeschichte erzählen. Eine Geschichte über Verlangen, Abschiede und Lebenstexte. Es ist ein persönlicher und nahbarer Text, der Wahrheiten offenlegt und auch die Seiten einer Beziehung und einer Selbst anspricht, die man sich manchmal nicht so ganz eingestehen möchte. Es ist ein weiblicher Text über das Leben, das Altern, Sex, Karriere, das Schreiben und die Liebe im Wandel von Veränderungen. Über zwischenmenschliche Beziehungen, romantische Gefühle, das Eingehen von Kompromissen und das Entdecken und Ausleben von Lust. Ein Text, der einen Blick in ein privates Innenleben erlaubt und dabei nicht seine literarische Form verliert. Ein Text, den ich gerne und mit Interesse gelesen habe, der mir durch seine Subjektivität des Erzählten wohl jedoch nicht so im Gedächtnis bleiben wird, wie ich es mir erhofft habe. Dennoch schätze ich Einblicke wie diese. Frauen, die sich trauen, die emotionalen und literarischen Hüllen fallen zu lassen, die sich erlauben, sie kennen zu lernen, persönlich zu werden, eigene Fehler und Mängel einzugestehen, zu Papier zu bringen, und ihre Leser*innen dazu einladen, sich vielleicht wieder zu entdecken im Erleben einer Anderen. Und ganz besonders: Eine Erinnerung daran, dass eine Liebe zwischen zwei Menschen groß und von Bedeutung ist, ungeachtet dessen, ob man die vorletzte Frau sein wird oder die letzte.

»Sex und Text nannten wir die Gemengenlage, die unser Leben war, sein Kern und dessen Bestandteile sich überflügelten, denn so gerne, wie ich meinen Körper in Toschs Hände gab, damit er damit verfuhr, wie er wollte, so gern tat ich ebendies mit meinen Texten. Tosch sollte schalten und walten. Über beides. Und das tat er. Dies, dachte ich damals, dachte ich später, denke ich heute, findest du nie wieder.« 




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Die vorletzte Frau
Autor*in: Katja Oskamp
Sprache: Deutsch
Verlag: Park x Ullstein
Hardcover | 208 Seiten | ISBN: 978-3-9881602-0-1

Kommentare