Rezension zu »Ava liebt noch« von Vera Zischke

»Es läuft nichts direkt schief, es geht einfach nur nicht weiter.«

Ava ist 43 Jahre alt, Mutter dreier Kinder in Kindergarten- bis Schulalter, Hausfrau, Ehefrau und absolut erschöpft. Romantische Gefühle sind in ihrer Ehe mit Ralf schon lange eingeschlafen, der all seine Zeit in seine Anwaltskanzlei steckt und alles, was mit den Kindern und der Familie zu tun hat, getrost seiner Frau überlässt. An einem Tag wie jedem anderen fällt Ava auf, dass auch sie mit der Geburt des ersten Kindes eingefroren ist, sich selbst seit nunmehr 12 Jahren nicht mehr spürt. Eine erschreckende Erkenntnis, die sie sowohl lähmt als auch wachrüttelt. Wer ist diese Ava, die ihr nun deutlich älter im Spiegel entgegenblickt? Wie viel ist noch da von der aufgeweckten Frau, die sie vor ihren Kindern war? Im Trott des Alltags, beim Wocheneinkauf, fällt ihr plötzlich ein junger, attraktiver Mann auf, der Regale einräumt. Kieran, Student, dahintreibend, planlos, viel zu jung für Ava. Doch der Anblick seines Körpers weckt etwas in ihr auf, das so tief geschlafen hat, dass sie es für tot hielt. Diese verstohlenen Blicke werden schnell zu den besten Momenten in Avas Leben, in ihrer Fantasie kommen sie sich näher, sie findet zurück zu ihrer körperlichen Lust. Als Kieran eines Tages nicht mehr im Supermarkt ist, findet sie ihn, der er nun als Schwimmlehrer arbeitet. Ohne groß darüber nachzudenken, meldet sie ihre Tochter zum Schwimmkurs an. Ava findet immer mehr Gründe, Zeit mit Kieran zu verbringen. Sie lernt ihn kennen, diesen 19 Jahre jüngeren Mann und je mehr sie über ihn erfährt, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Bis sie ihre Gefühle nicht mehr leugnen kann. Mit einer Enttäuschung rechnend, schwebt sie plötzlich im siebten Himmel, als Kieran ihre Gefühle wirklich zu erwidern scheint. Hals über Kopf beginnen Ava und Kieran eine leidenschaftliche Affäre. Und Ava merkt: Ava l(i)ebt noch. Diese geheimen, gestohlenen Momente werden Rettungsanker und Antrieb zugleich. Die Woche zieht dahin, in freudiger Erwartung darauf, ihn endlich wiederzusehen. Doch auch Ralf fällt Avas Wandel auf und so muss sie sich bald entscheiden zwischen ihrer Familie und ihren eigenen Bedürfnissen.

»»An diesem Tag beginnt mein Leben. Ein anderes Leben. Und ich weiß: Bei all der Verzweiflung und all der Schuld, die ich auf mich lade, werde ich nie auch nur eine Sekunde davon bereuen.«

Was zwischen Ava und Kieran entsteht, ist magisch. Es ist eine dieser seltenen Begegnungen zweier Menschen, die voneinander angezogen werden wie Magneten. Zwei Umlaufbahnen, bestimmt, sich zu kreuzen. Es ist der falsche Zeitpunkt, es sind die falschen Leben, aber der Anziehung ist der Zeitpunkt egal. Es ist eine Beziehung von einer solchen Intensität und Macht, dass sie Avas und Kierans restliches Leben prägen wird. Obwohl ich noch so viel mehr zu diesem Buch erzählen möchte, belasse ich es dabei, denn wie die Geschichte von Ava und Kieran endet, müsst ihr selbst herausfinden. Es lohnt sich. Und wie es sich lohnt. »Ava liebt noch« ist ein Roman irgendwo zwischen Liebesgeschichte und Auseinandersetzung mit Mutterschaft, schmerzlich mitreißend, zum Haare Raufen und Mitfiebern. Ava und Kieran bleiben dabei immer authentisch, menschlich, nahbar, mit Fehlern und doch so wunderbar sympathisch. Zwei Menschen, die etwas vom Leben wollen, das sie selbst nicht so genau benennen können, von dem sie jedoch spüren, dass es Gegensätze sind. Es ist ein Festklammern und Loslassen, Rettung und Untergang im Anderen. Aus wechselnden Perspektiven begleiten wir die beiden durch ihr Leben, erleben die Höhen und Tiefen und das Sehnen nach mehr. Ja, für mich ist dies der Kern von »Ava liebt noch«: Das Erkennen und Akzeptieren des Lebenshungers. Dem Streben nach der Erfüllung von Bedürfnissen, die tiefer gehen als Erwartungen. Ein Hunger nach Selbstverwirklichung, nach Liebe, nach Körperlichkeit, nach dem Gefühl lebendig zu sein. Gleichzeitig ist es in Avas Welt auch eine tief gehende Auseinandersetzung mit Mutterschaft und Frausein, zwei oft unvereinbar scheinende Pole. Die Suche nach Kompromissen. Verbunden mit der warmherzigen Erkenntnis, dass man seine Kinder zwar lieben, das Muttersein aber trotzdem hassen kann. Eine Erinnerung daran, sich nicht in einem anderen Menschen selbst zu verlieren, sei es Partner*in oder Kind. Ich habe »Ava liebt noch« unglaublich gern gelesen.

»Und plötzlich ist es da, das Gefühl, loszulassen, frei zu laufen, dem Gefühl von Boden unter den Füßen nachzuspüren und der Gewissheit, dass es nicht schlimm ist, zu fallen, wenn man sich selbst wieder aufrichten kann.« 




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Daten zum Buch
Titel: Ava liebt noch
Autor*in: Vera Zischke
Sprache: Deutsch
Verlag: List
Hardcover | 304 Seiten | ISBN: 978-3-471-36078-1

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