Rezension zu »Sie hat Bock« von Katja Lewina

»Was wäre [...] wenn Sex und Liebe Dinge wären, die zwischen allen, wirklich allen Menschen passieren dürften, für fünf Minuten oder ein Leben lang?«

Ich finde mich hier in der aufregenden Situation wieder, meine erste Rezension zu einem Sachbuch zu schreiben. Zu einem Sachbuch, dessen Inhalt sich nicht so einfach und klar beziffern lässt, wie dies vielleicht bei anderen Sachbüchern (ich werde es herausfinden!) oder Romanen der Fall ist. Darum weiß ich noch nicht, wo die gedankliche Reise hingehen wird. Aber ich bin gespannt darauf. So gespannt, wie ich auf »Sie hat Bock« war.

»Wir sind daran gewöhnt, uns für unsere Körper zu schämen. Dinge, auf die wir Bock haben, als unpassend zu empfinden.«

In »Sie hat Bock« schreibt Katja Lewina über weibliche Sexualität, Lust, Scham, über das Dasein als Frau, Ehefrau, Mutter, Mensch, über das Leben in einer patriarchalen Gesellschaft, die es noch immer alles andere als leicht macht für Frauen, einfach zu sein. Zu leben, zu lieben und besonders: Sex zu haben. Denn noch immer ist sie tief verankert, die weibliche Scham. In der Gesellschaft, in uns selbst. Bricht sich Bahn in Misogynie und einem Ungleichgewicht. Bricht sich Bahn in Zurückhaltung und Schweigen und oft auch unerfüllten Bedürfnissen. Katja Lewina bricht dieses Schweigen. Direkt, authentisch und ehrlich lässt sie die Leser*innen teilhaben an ihrer eigenen sexuellen Reise. Schreibt über ihre sexuelle Entwicklung, die Auswirkungen einer offenen Ehe auf ihre Familie, Dating, guten und schlechten und fantastischen Sex, über vorgetäuschte und echte Orgasmen, über Pornos und Selbstbefriedigung und Selbstliebe. Aber auch über Sorgen, Ängste, Zweifel. Den offenen Hass, den ihr so manch einer aufgrund ihrer offenen Art zu leben, entgegenbringt. Über Machtgefälle, die vielfältigen beleidigenden Worte für weiblich gelesene Geschlechtsorgane und darüber, wie effektiv Sprache darin ist, einen Status Quo aufrechtzuerhalten oder zu überwinden. Immer wieder untermalt, fundiert und in Referenz zu Studien, Geschichte und Fachbüchern.

»Sprache ist ein Instrument der Macht und gleichzeitig Spiegel der Machtverhältnisse. Durch Benennung bewerten wir und verleihen Bedeutung. Mit anderen Worten: Etwas, für das es keine präzise Bezeichnung gibt, wird gesellschaftlich kaum Anerkennung erfahren.«

Das gilt besonders für die weiblich gelesenen Geschlechtsorgane (und ist übrigens auch ein klasse Beispiel dafür, warum wir Gendern sollten). Also lasst uns anfangen, »Vulva« zu sagen und »Vagina« wirklich nur dann, wenn wir Vagina meinen, denn etwas Sichtbares als etwas zu referenzieren, das im Körper verborgen und damit unsichtbar ist, damit das weibliche Geschlecht »keine Leerstelle [bleibt], die nur in Beziehung zum Penis existiert.« Besonders interessant und wunderbar fand ich in dem Zusammenhang auch das feministische Bestreben, für die Bezeichnung »Schamlippen« (wobei bei der Bezeichnung das Problem liegt, muss hoffentlich nicht extra erwähnt werden) zukünftig die Benennung als »Vulvalippen« durchzusetzen. Sprache hat Macht. Wir wir sie einsetzen trägt dazu bei, wie sich die Welt um uns herum gestaltet.

»Ich glaube nicht ans Zurückhalten von Gefühlen und Bedürfnissen, und ich glaube nicht ans Schweigen.«

Für mich ist dies der perfekte Satz, um »Sie hat Bock« zu beschreiben. Es ist laut, es ist Bedürfnis, es ist wichtig. In vielerlei Hinsicht habe ich mich in Lewinas Ausführungen wiedergefunden, habe oft genickt, zugestimmt, Textpassagen markiert. Manche Ansichten teile ich dafür nicht, aber das ist okay, das ist gut so. Denn es geht vor allem darum, endlich zu reden. Weibliche Lust und Sexualität und auch weibliche Körper nach außen zu tragen, laut zu sein, sie endlich zu entmystifizieren, zu enterotisieren. Damit das eingangs gesetzte Zitat eines Tages endlich Wirklichkeit wird. Damit die Scham aufhört und der weiblich gelesene Körper nur das ist: Ein Körper, der je nach Laune Lust und Unlust verspüren darf und diese ausleben kann, ohne Verurteilung. Am Ende bleibt mir nur eins zu sagen: Begeht nicht denselben Fehler wie ich. Wartet nicht so lange, dieses absolut geile Buch zu lesen. Es wird euch unterhalten, es wird euch das Gefühl geben, weniger allein zu sein, es wird euch empowern und ja, auch wütend machen. Denn:

» ›The truth will set you free – but first it will piss you off.‹ Und genau das wünsche ich mir für uns alle.«




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Daten zum Buch
Titel: Sie hat Bock
Autor*in: Katja Lewina
Sprache: Deutsch
Verlag: DuMont
Taschenbuch | 224 Seiten | ISBN: 978-3-8321-6601-4

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