Rezension zu »Nach uns der Sturm« von Vanessa Chan

»Vielleicht waren Menschen wie sie, Jasmin und Abel nicht wichtig – hier in einem kleinen tropischen Winkel im Osten, wo sie von Menschen brutal behandelt wurden, die fast genauso aussahen wie sie.«

Bintang, Kuala Lumpur. Malaya im Jahr 1945. Harte Zeiten für Cecily Alcantara und ihre Familie. Das Land wird zusehends unruhiger, der zweite Weltkrieg ein Sturm, der auch vor Malaya nicht halt macht. Es ist nunmehr drei Jahre her, seit die Kaiserlich Japanische Armee in Malaya einmarschiert ist, um das britisch besetzte und kolonialisierte Gebiet zu erobern und, angeblich, um die malaiische Bevölkerung zu befreien. Wurden die japanische Armee erst freudestrahlend begrüßt, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, fing man doch bald an, die britische Kolonialmacht zu vermissen. Es war nicht gut damals, überhaupt nicht, aber die Japaner*innen, die doch eigentlich Verbündete sein sollten, verhalten sich grausamer. Jetzt, im Jahr 1945, verschwinden nach und nach Jungen spurlos. Auch Cecilys Sohn Abel kehrt an seinem 15. Geburtstag nicht zu seiner Geburtstagsfeier nach Hause. Die Familie versinkt in Trauer, ein*e jede*r geht anders damit um. Im Arbeitslager Kanchanaburi an der burmesisch-thailändischen Grenze findet sich Abel in einem wahrgewordenen Alptraum wider. Die japanischen Soldaten beuten seinen Körper aus, auf jede nur erdenkliche Art. Es ist ein Kampf ums Überleben, ein Kampf, irgendwie seine Seele zu schützen, sie vorm Brechen zu bewahren und zu verschließen vor der Gewalt, die ihm Tag für Tag und über Monate hinweg angetan wird. Jujube, die älteste Tochter, arbeitet währenddessen im Teehaus und bedient jeden Tag Japaner, die vor allem durch ihre Grobheit auf sich aufmerksam machen. Nur Mr. Takahashi ist freundlich und schüchtern, kein Soldat, sondern ein Lehrer. Er ist nett zu ihr, macht ihr Geschenke, wenn er kann. Eine schwierige Beziehung, die Jujube zunehmend in eine emotional zerrissene Situation zwingt. Sie mag ihn, diesen alten, harmlosen Mann, der an mehr als einem Tag dafür verantwortlich ist, dass ihre Familie genug zu Essen hat. Und sie verachtet und hasst ihn, für das, was seine Leute ihren Leuten antun. Für die Gewalt, dass er eine Tochter hat, um die er sich sorgt, während ihr Bruder verschleppt wurde und sich ihre kleine Schwester Jasmin den ganzen Tag über im dunklen Keller verstecken muss, um nicht in eins der Kriegsbordelle für japanische Soldaten verschleppt zu werden. Mit jedem Tag, der verstreicht, wächst ihr Hass und sucht sich Bahnen. Mit jedem Tag, wird das Land unruhiger und die Soldaten skrupelloser, denn der Krieg treibt unaufhörlich auf sein Ende zu. Zur selben Zeit stirbt etwas in Cecily, die sich persönlich verantwortlich fühlt für das Leid, das ihren Kindern angetan wird. Tief in ihrem Herzen trägt sie ein Geheimnis in sich, von dem sie weiß, dass es nie ans Tageslicht kommen darf. Ein Geheimnis, das zehn Jahre zurück reicht, ins britisch besetzte Malaya im Jahr 1935 zu einer jüngeren Cecily, die dachte, im Wohl ihrer Familie und ihres Landes zu handeln.

»Doch vielleicht bestand der Idealismus einer Frau nicht darin, nach Utopischem zu streben – alle waren alt genug, um zu wissen, dass Perfektion unerreichbar war –, sondern eine Sache, einen Menschen in etwas Besseres verwandeln zu wollen.«

Wie diese umfangreiche Inhaltszusammenfassung vielleicht schon verrät, ist »Nach uns der Sturm« ein historischer Roman, der eine große, wichtige Geschichte zu erzählen hat. Ein Kapitel der Geschichte Malaysias vor der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren: Die Jahre zwischen 1941 und 1945 sind eine Zeit in der malaysischen Geschichte, über die die Zeitzeug*innen, wie die Autorin in ihrem Vorwort schreibt, nicht sprechen. Es war eine Zeit der Unruhe inmitten des zweiten Weltkriegs. Eine Zeit, in der die Kaiserlich Japanische Armee in Malaya einmarschierte und die britischen Kolonialist*innen gewaltsam vertrieb. Eines jener Kapitel eines Landes, das unzureichend aufgearbeitet wurde. Ein Mantel des Schweigens, denn nur wer schweigen konnte, hatte eine Chance zu überleben. Eine Zeit, in der ein »Asien für Asiaten« von der Japanischen Armee propagiert wurde und das doch nur in Unterdrückung, Ausbeutung, Tod und Leid geendet hat. Emotional in einer Weise noch schwerer zu ertragen als die britische Besatzung, denn nun waren es Menschen wie sie, die für ihren Schmerz verantwortlich waren. Anhand der Familie Alcantara wird dieses Kapitel erzählt, nah und ungeschönt, ein Blick tief in die Seelen der Familienmitglieder. Wir erleben diese Jahre aus der wechselnden Sicht von Cecily, Jujube, Jasmin und Abel, Jahre voller Schmerz, Jahre der kleinen Erfolge und Freuden. Kein Schwarz-Weiß, sondern ein Grau, eine Zeit zwischen Überleben und Leben, zwischen Angst und Hoffnung, Warten und Bangen. »Nach uns der Sturm« ist für mich ein Romandebüt mit großem Potenzial, dessen emotionales Level mich gestreift, aber leider nicht ganz so in den Bann gezogen hat, wie die Geschichte es hätte tun können. Aber ich bin froh, sie gelesen zu haben, ein wenig mehr zu wissen, über eine Zeit, die nicht im Dunkeln und im Vergessenen bleiben sollte. Ich werde die Autorin definitiv im Blick behalten.




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Daten zum Buch
Titel: Nach uns der Sturm
Autor*in: Vanessa Chan
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit
Verlag: Ecco
Hardcover | 416 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0097-8

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