Rezension zu »Mitternachtsschwimmer« von Roisin Maguire

»Wasser blicken betreibt den Kummer und heilt allen Herzschmerz, heißt es.«

Die eigenwillige und exzentrische Grace führt mit ihrem Hund ein zurückgezogenes, unaufgeregtes Leben in Ballybrady, einem kleinen Dorf an der irischen Küste. Ihre Tage bestehen aus dem Schwimmen im eiskalten Meer, Quilten, Fischen und ihrem Hund, über den sie sich zu gerne ärgert. Es ist ein beschauliches Leben, in dem nicht viel passiert. Um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, vermietet sie ein Cottage an Tourist*innen. Einer dieser Touristen ist Evan, der aus der Stadt geflohen ist, der vor seinem Job geflohen ist, dessen Ehe sich gerade im Scheitern befindet, der droht, am tragischen und unerwarteten Tod seiner kleinen Tochter zu zerbrechen. Eine Woche in Ballybrady, eine Woche fernab des Lebens, eine Woche voller Irlands Natur, Meer und Stille sollen ihm dabei helfen, wieder zurück ins Leben zu finden. Doch alles kommt ganz anders wie gedacht: Die Pandemie breitet sich aus und Grace bietet Evan an, im Cottage zu bleiben. Aus einer Woche werden mehrere, aus tiefschürfender Trauer wird etwas Bewältigbareres, aus einem Fluchtort wird ein sicherer Hafen. Und aus der ruppigen, unnahbaren Grace wird eine Art Freundin, eine Seelengefährtin. Alltag und Routine im Lockdown pendeln sich ein, Evan findet Zeit, notwendige Entscheidungen zu treffen und die Menschen in Ballybrady kennenzulernen. Bis Evans Noch-Frau ihn bittet, den gemeinsamen Sohn Luca für eine Weile zu sich zu nehmen. Der junge Luca, taub-stumm, voller Neugier und ganz eigenen Schuldgefühlen. Unerwartet schließt er Grace auf den ersten Blick in sein Herz und bringt deren weiche Schale, die sich unter einem harten Kern versteckt, mit jedem verstreichenden Tag ein wenig mehr zum Vorschein.

»Aus all dem Alten, Schmerzhaften etwas Neues schaffen, das war die beste Form von Alchemie.«

»Mitternachtsschwimmer« ist wie Grace. Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte durch dieses wirklich wunderschöne Cover rau und unnahbar, die irische See bei Sturm. Doch zwischen den Buchdeckeln, zwischen den Seiten, steckt ganz viel Herzenswärme. Es ist eine Geschichte über eigenwillige Menschen, über das Alleinsein und die Kraft von Gemeinschaft und Freundschaft. Ein Roman, der unaufgeregt von Trauer und Schuld erzählt. Manchmal sind es die leisen Töne, die das Herz zum Schwingen bringen. Eine Poesie der Einfachheit und Kraft der Worte. Es ist ein Sommerbuch, leicht und doch mit einer Tiefe, einer eigenwilligen Erzählstimme, die nicht besser passen könnte zu den Bewohner*innen von Ballybrady. Es ist, wie ich mir diese kleinen Dörfer an der irischen Küste vorstelle. Unaufdringlich hat »Mitternachtsschwimmer« all denen eine Geschichte zu erzählen, die bereit sind, zuzuhören. Über Akzeptanz, Verlust und Chancen. Über ein Morgen, das immer kommt, und über die Kraft des Meeres. Ich habe es lieb gewonnen, dieses Örtchen, diese Menschen und deren Fähigkeit, trotz aller Widerstände und Widrigkeiten Wege zu finden und Hoffnung. Ein kleiner, irisch bescheidener Lobgesang auf das Leben und ein Buch, das durch seine Naturbeschreibungen zum Durchatmen, Verweilen und Genießen einlädt. 




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Daten zum Buch
Titel: Mitternachtsschwimmer
Autor*in: Roisin Maguire
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea O'Brien
Verlag: DuMont
Hardcover | 352 Seiten | ISBN: 978-3-8321-6892-2

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