Rezension zu »Wir sind wild und wunderbar« von Anita Kelly

Alexei hat sich mit Ende Zwanzig endlich getraut und sich vor seiner Familie als schwul geoutet. Kein leichtes Unterfangen, ist er doch in einer sehr konservativen, rückwärtsgewandten und streng religiösen Familie aufgewachsen. Seit seinem Outing hat er keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern, die seine Identität ablehnen und ihn verstoßen haben. Nur zu seiner kleinen Schwester pflegt er noch Kontakt, möchte sie jedoch nicht unnötig zwischen die Fronten bringen. Außerhalb seiner Familie hat Alexei kaum ein soziales Netzwerk, er ist zu introvertiert, zu speziell auf eine Art. Deswegen führt Alexei ein einsames Leben zwischen dem Versuch, seine Identität zu akzeptieren, und der ihm anerzogenen Scham. Die 2.500-meilenweite Wanderung auf dem Pacific Crest Trail soll für Alexei Abschied und Neuanfang zu gleich sein: Ein Abschied von seinem alten Leben und seiner Familie und die Grundsteine für sein neues Ich. Zu Beginn der Wanderung trifft er auf Ben. Auch Ben wandert den PCT. Nach dem Abschluss einer Ausbildung zum Krankenpfleger und mehreren gescheiterten, problematischen Beziehungen, wandert Ben, um Klarheit darüber zu erlangen, was er vom Leben und der Liebe möchte. Immer wieder kreuzen sich die Wege von Alexei und Ben, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlichere Leben führen könnten: Während Ben auf unzählige Beziehungen zurückblickt, eine ihn unterstützende Familie und Freund*innen hat und ein offener, geselliger Mann ist, ist Alexei das komplette Gegenteil. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. So werden die beiden Wanderpartner und kommen sich mit den zurückgelegten Meilen immer näher. Weder Ben noch Alexei hatten auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich auf dem PCT zu verlieben, schließlich wandern beide, um sich selbst zu finden und niemanden sonst. Doch manchmal verfolgt das Leben ganz eigene Pläne.

So erzählt »Wir sind wild und wunderbar« vor der beeindruckenden Kulisse des PCT eine queere Liebesgeschichte, die unter die Haut geht. Ohne Kitsch, ohne Klischee, mit sehr viel Gefühl und Realität. Durch die Erzählung aus den wechselnden Perspektiven von Ben und Alexei lernen wir diese beiden liebenswerten Männer kennen, blicken hinter die Fassaden der beiden in ihr Inneres und begleiten sie auf den Höhen und Tiefen des Trails. Zwei Männer, beide mit ihren ganz eigenen Problemen, in deren beider Liebesgeschichte ich mich während des Lesens zunehmend verliebt habe. Genau solche Romance-Bücher möchte ich lesen. Ich will mitfühlen und mitlieben, mich darin verlieren, abgeholt werden und dennoch die oftmals harte Realität des Lebens erleben. Alexei und Ben, beide auf der Suche nach sich selbst, die einander finden und erkennen, dass sie sich erst selbst lieben lernen müssen, bevor ein Zusammen eine Chance haben kann. Eine Message, die ich ganz großartig finde und zu selten lese. Dabei werden relevante Themen wie Homophobie, queere Identitäten, toxische Beziehungen und Coming Out behandelt, von einer Innenperspektive heraus und absolut authentisch. Authentisch sind auch die geschilderten Sex-Szenen: explizit, detailliert, realistisch, dabei aber durchgehend ästhetisch und treffend. Alleine wegen dieser Szenen lohnt sich dieser Roman, ich war und bin wirklich begeistert – genauso sollte Sex beschrieben werden.

»Wir sind wild und wunderbar« ist ein kleines perfektes Gesamtpaket: gefühlvoll, heiß und bewegend – eine warmherzige, wunderschöne Liebesgeschichte über Neuanfänge, Selbstfindung und Akzeptanz, die ich euch absolut empfehlen kann.




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Daten zum Buch
Titel: Wir sind wild und wunderbar
Autor*in: Anity Kelly
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Christopher Bischoff und Jana Körner
Verlag: HarperCollins
Taschenbuch | 464 Seiten | ISBN: 978-3-365-00582-8

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