Rezension zu »Lore und die letzten Tage« von Killen McNeill

Am 03. Juli 1944 reist die 14-jährige Lore von Nürnberg ganz alleine mit dem Zug nach Seilar, einem kleinen Dorf bei Iphofen in Unterfranken. Dort soll sie als Erntehelferin auf dem Bauernhof der Waigandts ihren Teil für Deutschland beitragen. In ihrer besten BDM-Uniform freut sie sich darauf, ihren Teil zum erfolgreichen Kriegsausgang beizutragen, so klein und unscheinbar er auch sein mag. Die Stadt gewöhnt, hat Lore wenig Ahnung vom Landleben und den damit verbundenen Aufgaben, doch die Waigandts, die um ihren Sohn an der Front bangen, schließen Lore ins Herz. Noch ist der Krieg fern im idyllischen Seilar und in Lores Leben. Dort, zwischen Kühe Melken und Hühnerstall fühlt Lore sich zunehmend wohl. Was nicht zuletzt am Hitlerjungen Anton liegt, der auf dem nahegelegenen Hof als Erntehelfer arbeitet. Zwischen den beiden und den einzig anderen beiden Jugendlichen im Ort entsteht eine Freundschaft, die sich vor allem durch die freitäglichen Kinobesuche festigt. Doch der Sommer geht zu Ende und Lore wieder nach Nürnberg. Am 04. Januar 1945 kehrt Lore zurück nach Seilar, verzweifelt und heimatlos, nachdem ihre Mutter und Großmutter einer Bombe der Alliierten zum Opfer gefallen sind. Ihr Glaube an den Endsieg und an die Richtigkeit des Dritten Reichs schwanken zunehmend. Auf dem Waigandthof findet Lore Zuflucht und auch Anton wieder. Zwischen den beiden entfacht eine junge Liebe in all dem Chaos. Gemeinsam erleben sie die letzten Tage des Krieges, der bald auch mit voller Gewalt in Seilar Einzug halten wird. 75 Jahre später, im Jahr 2022, erhält Lore die Einladung zur Gedenkfeier der damals in Seilar Gefallenen. Doch die erzählte Geschichte der Ereignisse in den letzten Tagen des Kriegs deckt sich nicht mit Lores Erinnerung. Um die Wahrheit zu finden, muss sie zurückkehren an den Ort, den sie seit 75 Jahren mit aller Kraft gemieden hat: ihre eigenen Erinnerungen an die letzten Tage, die schönsten und die schlimmsten zugleich. Um endlich ihren Frieden zu finden, muss sich Lore fast ein ganzes Leben später endlich der noch immer schmerzenden Vergangenheit stellen.

Dieses Buch. Diese Geschichte. »Lore und die letzten Tage« ist ein Roman, der schon während der ersten Seiten mein Herz für sich erobern konnte. Eine feinfühlige, rührende, traurig-schöne Geschichte über das Erwachsenwerden in schweren Zeiten. Über die Liebe und den Hass, Frieden und Krieg. Über Heimat. Ich habe viel gelernt während des Lesens. Darüber, wie in kleine unscheinbare Dörfer irgendwo zwischen Unter- und Mittelfranken, die ich seit meiner Jugend kenne, der Krieg eingefallen ist. Fragen, die ich mir nie gestellt habe und doch hätte stellen sollen. In der Vorstellung bleibt Krieg doch oft etwas Fernes, Theoretisches. Ja, er fand statt, aber doch nicht in irgendeinem kaum nennenswerten fränkischen Dorf im Nirgendwo? Ich habe meine Heimat anders kennengelernt durch diesen Roman, von einer Seite, die präsenter sein sollte in der kollektiven Erinnerung. Als Mahnmal, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Mit viel Feingefühl schafft es McNeill, einen Innenblick in die Welt damals zu gewähren. Eine Lore wird gezeichnet, die stolz auf ihre hübsche BND-Uniform ist und das Gedankengut reproduziert, das sie gelernt hat. Bis sich Risse auftun, dieses Gedankengut vom Abstrakten in die Realität eingreift, sie anfängt zu hinterfragen, ihre eigenen Moralvorstellungen mit denen des Nationalsozialismus abzugleichen. Es ist eine Geschichte über Mut. Mut, das Richtige zu tun. Mut, etwas zu riskieren. Mut, trotz Hindernissen und Konsequenzen für etwas einzustehen. Eine Geschichte über Zusammenhalt. Eine hoffnungsvolle Geschichte davon, was die Liebe einzelner bewirken kann. Eine nicht zu leugnende Wahrheit darüber, wozu der Hass und die Verblendung einzelner fähig sind. Aber, immer auch und vor allem: eine Liebesgeschichte. Über eine junge unschuldige Liebe in unwägbaren Zeiten. Über Freundschaft und Familie, Zivilcourage und das Wissen, das selbst in den schlimmsten Zeiten Hoffnung besteht, weil in der Liebe eine Kraft steckt, die Berge versetzen und weiße Fahnen hissen kann. Mir sind die Figuren in diesem Roman ans Herz gewachsen, mir ist diese Geschichte ans Herz gewachsen. Einfach und absolut ein Herzensbuch. 




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Daten zum Buch
Titel: Lore und die letzten Tage
Autor*in: Killen McNeill
Sprache: Deutsch
Verlag: Ars Vivendi
Hardcover | 240 Seiten | ISBN: 978-3-7472-0524-2

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