Rezension zu »Jeanie und Julius« von Claire Fuller

Unauffällig steht ein kleines, abgeschieden gelegenes Cottage in Wiltshire, im Südwesten Englands. Heruntergekommen ist es, windschief, nicht auf dem modernen Stand, gezeichnet von der Zeit. Und doch ist es das einzige Zuhause, das die Zwillinge Jeanie und Julius kennen. Ihr ganzes Leben haben sie dort verbracht, zusammen mit ihrer Mutter Dot. Losgelöst vom Rest der Gesellschaft, ein Leben in der Einsiedelei. Inzwischen sind sie 51, Jeanie kann weder richtig lesen noch schreiben, zusammen mit ihrer Mutter verkauft sie das Obst und Gemüse, das sie im Garten anbauen, während sich Julius mit Gelegenheitsjob durchschlägt. Sie leben ein einfaches Leben, ein Leben voller Entbehrungen, beschränkt auf das Nötigste und Wichtigste. Und doch sind sie zufrieden, mit einander und dem wenigen, das sie haben und das doch zum Leben reicht. Eines Morgens findet Jeanie Dot, zusammengebrochen und tot auf dem Küchenboden. Dots Tod, ihre Abwesenheit, hinterlässt ein Loch im Leben der Zwillinge und bringt ein nie gekanntes Chaos in ihre Zurückgezogenheit. Plötzlich müssen sie sich um eine Beerdigung kümmern, für die das Geld fehlt, Dorfbewohner*innen, die sich in ihr Leben einmischen, und sich enthüllende Geheimnisse über das Cottage und das bisherige Leben der Zwillinge, die alles ins Wanken bringen. Während Julius jeden Job anzunehmen, den er finden kann, wird für Jeanie immer klarer, dass die beiden vor den Trümmern ihres bisherigen Daseins stehen und alles verlieren werden, das sie kennen und lieben. 

»Jeanie und Julius« ist ein Roman, der durch seine Schlichtheit bestechen kann. Ein langsamer Roman, eine Handlung, die Zeit braucht, dahinplätschert und doch mitreißen wird, wenn man sich einlässt auf die leisen Töne. Ein Roman, der es schafft, die zunehmende Perspektivlosigkeit der beiden und besonders von Jeanie, in den Fokus zu stellen ohne es zu benennen. Es steckt viel zwischen den Zeilen, das es wert ist, entdeckt zu werden. Ich habe tiefes Mitgefühl entwickelt für diese beiden Menschen, die im mittleren Alter stecken und im Herzen doch noch Kinder sind, verloren ohne eine Mutter, die über fünf Jahrzehnte lang das Zentrum ihrer Welt gebildet hat. Abgeschieden aufgewachsen, fern von der Gesellschaft und hilflos außerhalb ihrer eigenen schützenden vier Wände. Mit einer Scheu und Misstrauen gegenüber anderen Menschen, neuen Begebenheiten und der Welt, die da draußen wartet. Es ist ein Roman über Familienbande, über Abhängigkeit und Hilflosigkeit, über kleine Träume in der Enge, Vertrauen und seichte Hoffnungsschimmer; ein Herantasten, ein Anpassen an Veränderungen, Geschwisterliebe und einer Zukunft, die sich ihren Weg durch Widrigkeiten bricht, bereit oder nicht. »Jeanie und Julius« war anders, als ich erwartet habe. Auf eine einzigartige Art. Kein Wohlfühlbuch, sondern eines, das durch Ungesagtes und einer melancholischen, zeitweise depressiven Stimmung in den Bann zieht und die Geschichte zweier Menschen erzählt, deren Leid und Entwicklung man sich nicht entziehen kann. »Jeanie und Julius« ist traurig durch und durch und trotzt doch, gleichzeitig, immer wieder mit einer gewissen Zufriedenheit in der Einfachheit der Dinge. 




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Daten zum Buch
Titel: Jeanie und Julius
Autor*in: Claire Fuller
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea O'Brien
Verlag: Kjona
Hardcover | 336 Seiten | ISBN: 978-3-910372-23-8

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