Rezension zu »Der letzte weiße Mann« von Mohsin Hamid

Als Anders schlafen geht, ist er weiß. Als er aufwacht, plötzlich Schwarz. Nein, es ist kein Alptraum, keine Irrung, sondern Tatsache. Er meldet sich krank, versteckt sich Zuhause, sagt es nur seiner Bekannten und manchmal Geliebten Oona. Die ihm wiederum erzählt, dass Anders nicht der einzige ist, dessen Hautfarbe plötzlich anders ist. Irgendwann traut er sich wieder in die Welt und zur Arbeit. »Wäre mir das passiert, ich hätte mich umgebracht.«, kommentiert Anders' Chef dessen neue Hautfarbe. Anders merkt, dass die Menschen ihn plötzlich anders behandeln und wahrnehmen, als wäre er ein Fremder, die Menschen meiden Blickkontakt und Anders versucht, nicht aufzufallen. Kaum traut sich Anders, seinen kranken Vater zu besuchen. Denn der versucht, Anders noch immer als seinen Sohn zu lieben, doch die Hautfarbe macht es ihm schwer. Auch bei Oona und deren Mutter sind die Geschehnisse das Thema Nummer eins. Hoffentlich passiert ihnen das nicht, hofft Oonas Mutter. Währenddessen sind immer mehr Menschen von der Hautveränderung betroffen. Unruhen werden laut, die Stadt versinkt im Chaos, die Wissenschaftler*innen suchen verzweifelt nach einem Heilmittel und finden doch keins. Lieber Zuhause verstecken, schließlich weiß man ja nicht, wer schon immer schwarz war und wer nur krank. Irgendwann verändert sich auch Oonas Haut über Nacht. Die Mutter erschrickt, wer will schon gerne wach und eine schwarze Person auf der Bettkante sitzen sehen? Klar, es ist noch immer ihre Tochter. Aber eben doch auch nicht. Bis es auch Oonas Mutter betrifft. Spät, als eine der letzten. Sie ist stolz darauf, solange stark und wehrhaft gewesen zu sein.

»Der letzte weiße Mann« ist ein kurzer Roman und das ist auch meine einzige wirkliche Kritik, die jedoch für mich ausschlaggebend war: Ich hätte mir mehr gewünscht. Mehr Raum, den Figuren, dem Innenleben, der Gesellschaftskritik auf den Grund zu gehen. Mehr Tiefe, die sich hätte entfalten können. Denn abgesehen davon, ja, abgesehen davon ist dieser Roman so faszinierend wie bedrückend, ein Gedankenspiel der besonderen Art. Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor über Rassismus und Vorurteile. Welchen Wert messen wir anderen – ob bewusst oder unterbewusst – nur aufgrund äußerlicher Merkmale zu? Wie wichtig ist die Hautfarbe eines Menschen? Wann ist Gleichheit möglich oder ist die Menschheit zu sehr dahingehend sozialisiert, den eigenen Wert über die willkürliche Unterdrückung anderer zu definieren? Der Roman lässt diese Fragen offen, bietet keine Antworten. Vielleicht gibt es keine. Und genau hier, in seiner Offenheit, bietet der Roman Fläche zur eigenen Reflektion. Wie sehe ich die Welt und die Menschen darin? Wie endet diese Geschichte für mich, wie will ich, das sie endet? Glaube ich daran, dass Menschen sich weiterentwickeln können und diese Veränderung, diese optische Angleichung früher oder später als Chance begreifen oder finden sie neue Wege der Differenzierung? 

»Der letzte weiße Mann« ist ein kurzer Roman, der zum Nachdenken anregt und von dem ich mir wünschte, er hätte mich noch tiefer in diese andere Welt eintauchen lassen.




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Daten zum Buch
Titel: Der letzte weiße Mann
Autor*in: Mohsin Hamid
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Verlag: DuMont
Hardcover | 160 Seiten | ISBN: 978-3-8321-8213-7

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