Rezension zu »Happy Hour« von Marlowe Granados

»Manche Partys gehen zu Ende, bevor sie richtig begonnen haben.« 

Mit einem Koffer voller Kleidung, ein bisschen angespartem Geld und jeder Menge Lebenshunger reist die 21-jährige Isa Epley zusammen mit ihrer besten Freundin Gala für den Sommer nach New York City. Genuss steht an erster Stelle in diesem flirrend heißen Sommer, in dem eine Party die nächste jagt. Um sich ihre überteuerte Miete in Brooklyn zu finanzieren, verkaufen die beiden tagsüber und eher schlecht als recht ihre gebrauchte Kleidung auf einem Flohmarkt. Doch das eigentliche Leben, das findet nachts statt. Nachts ziehen die beiden durch die Straßen, Clubs und Bars der Stadt, immer auf der Suche nach dem nächsten, der ihnen ein, zwei, drei Drinks und vielleicht auch eine Mahlzeit ausgibt. In Tagebuchform dokumentiert Isa ihren Sommer, die Tage, an denen der nächste Rausch beginnt, bevor der Kater der vorherigen Nacht abgeklungen ist. Glitzerkleider, Alkohol, Drogen, Sex, belanglose Gespräche, wiederkehrende Gesichter, zu wenig Schlaf, zu wenig Essen, zu viel von allem anderen. Doch der exzessive Lebensstil fordert seinen Tribut: Das Geld wird zunehmend knapper, mit teilweise dubiosen Gelegenheitsjob versuchen die beiden jungen Frauen, sich über Wasser zu halten, und gehen doch eigentlich unter dabei.

Das ist sie, die Handlung von »Happy Hour«. Eine Aneinanderreihung von Partys, Alkoholexzessen, fragwürdigem Verhalten und viel zu kurzen Nächten. Viel mehr passiert nicht. Der Klappentext verspricht einen Roman, der »[m]it untrüglicher Genauigkeit und Witz [...] den hohlen Kern unserer Klassengesellschaft frei[legt].« Gefreut habe ich mich darauf im Vorfeld sehr, gesucht habe ich danach während des Lesens leider vergeblich. Gesellschaftskritik schimmerte gelegentlich durch die Zeilen hindurch, doch in die Tiefe ging es an keiner Stelle. Und das war auch mein Hauptproblem: Figuren und Handlung blieben im gesamten Verlauf des Romans oberflächlich. Nach dreihundert Seiten habe ich nicht das Gefühl, Isa kennengelernt zu haben, sie offenbarte mir nur das, was sie bereit war zu zeigen und das war leider einfach nicht genug, um irgendeine Verbindung zu ihr aufzubauen. Eine richtige Handlung entfaltete sich so gut wie nicht, außer, dass Isa und Gala sich zu Beginn des Buchs noch frisch und freudig ins Nachtleben stürzten, während sie zum Ende hin eher aus Gewohnheit und einem inneren Zwang, einem möglichen Eingestehen der Sinnlosigkeit ihres Tuns entgegenzuwirken, durch die Welt torkelten. Meine anfängliche Begeisterung für das Buch auf den ersten Seiten und die Hoffnung auf eine tiefgehende, kritisch-glamouröse Auseinandersetzung mit der New Yorker High Society wandelte sich dementsprechend leider schnell in zunehmende Enttäuschung und eine gewisse Ratlosigkeit über die Message des Buchs. »Happy Hour« ist Glamour, ja, aber leider so viel mehr Schein als Sein. Der porträtierte Lebensstil der beiden jungen Frauen ist in der Exzessivität, mit der sie ihn als Lebensinhalt betreiben und zelebrieren, mehr problematisch als interessant; das Ausleben von toxischer Weiblichkeit im Sinne eines erhofften Tauschgeschäfts in Form von jugendlichem Charme, jugendlicher Schönheit und Gesellschaft gegen Drinks, Essen und Geschenken von (älteren) Männern auch einfach nicht das, was ich lesen möchte.

Es ist so schade, wenn ein Roman, der so viel Potenzial hätte, dieses so überhaupt nicht zu nutzen weiß und am Ende Gefahr läuft, in die Belanglosigkeit abzudriften. »Happy Hour« ist somit leider das erste Buch, das mich dieses Jahr nicht von sich überzeugen konnte. Der Schreibstil der Autorin, den ich als sehr angenehm empfunden habe, konnte leider nicht über die austauschbare, oberflächlich bleibende Handlung hinwegtrösten. So schade!




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Daten zum Buch
Titel: Happy Hour
Autor*in: Marlowe Granados
Aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Ochel
Sprache: Deutsch
Verlag: Hanser
Hardcover | 304 Seiten | ISBN: 978-3-446-27949-0

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