Rezension zu »Noto« von Adriano Sack

»Vielleicht können wir das Leben nur aushalten, solange wir uns einreden: Morgen mache ich es besser. So wie die Erinnerung an Schmerzen verblassen muss, damit wir nicht in Panik vor künftigen Schmerzen erstarren, so ignorieren wir das Unvermeidliche und die Erbarmungslosigkeit und die Plötzlichkeit der Zukunft.«

Zwei Männer, eine große Liebe, ein Ferienhaus auf Sizilien, ein lebenslustiger Hund und die engsten Freund*innen im Ferienhaus nebenan. Das Leben könnte perfekt sein, Dolce Vita vom feinsten oder zumindest nah dran. Dann stirbt Adriano überraschend und Konrad bleibt alleine zurück. Voller Trauer, Schmerz, ungesagter Worte und ungelebter Momente. So schwer es ihm auch fällt, packt Konrad seine Sachen und reist an den Ort, an dem die beiden dem Glück immer am nähesten waren: Sizilien. Ihr Ort, ihre Zuflucht, ihr Paradies. Doch irgendetwas ist dieses Mal anders. Sizilien glänzt und strahlt nicht wie sonst, das Paradies ist dunkler geworden. So macht sich Konrad auf zu einer Abschiedstour über die Insel, begleitet von seinen Erinnerungen, begleitet von Adrianos Stimme tief in seinem Herzen, begleitet von seiner besten Freundin, die für ihr ganz eigenes Problem eine Lösung finden muss, und begleitet von Santi, dem Mitbewohner von Adriano, der während Konrads Reise für ungeahnte Höhe- und Tiefpunkte sorgen wird und nicht zu viel nachdenkt im Leben. 

»Ich will für immer siebenundzwanzig sein. Aber wenn ich schon alt werden muss, dann mit dir.«

Die feinfühlige, eigene Sprache des Romans hat mich von Anfang an geborgen festgehalten, mir tiefe Gefühle näher gebracht und für den ein oder anderen emotionalen Moment während des Lesens gesorgt. »Noto« ist Abschied und Neuanfang zugleich, eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung von Trauer, für die Worte fehlen und die doch so unfassbar spürbar ist und präsent und ein Loch hinterlässt, wo einst ein Mensch war und Leben. Ich habe mich eingelassen auf diese, Konrads Reise, auch, wenn mir nicht immer alles klar war. Denn das musste es nicht. Trauer ist wie die Liebe, sie folgt keinen Regeln, sie ist individuell und doch universell. Das ist das Ende. Der Neuanfang ist das, was mit Konrad passiert auf seiner Reise. Die Momente der Heiterkeit, die Momente von Nähe und körperlicher Anziehung, das Loslassenlernen. »Noto« ist ehrlich. Im Gefühl und in seiner Darstellung Siziliens. Ein Urlaubsparadies mit Schattenseiten, gesellschaftlichen, politischen und Umweltproblemen. Eine Insel, gleichzeitig so rein und dreckig wie das Leben.

»Diese Gleichzeitigkeit von Elend und Pracht ist vermutlich das, was Sizilien so unwiderstehlich macht. Diese Insel erinnert einen permanent daran, dass es kein Paradies gibt.«

»Noto« ist eine Erinnerung daran, dass ein Ort nur ein Ort ist, dass es die richtigen Menschen sind, die einen Ort zur Heimat und zum Paradies auf Erden werden lassen. Eine Erinnerung daran, das Leben zu leben, die Liebe zu lieben und nicht zu viele Worte im Glauben an ein Später ungesagt zu lassen. »Noto« ist eine sanfte, gefühlvolle Liebeserklärung an die Liebe, nicht trotz, sondern wegen des schmerzvollen Verlusts, weil dieser zeigt, wie bedeutend das war, was man hatte; eine Liebeserklärung an Sizilien, im glänzenden Sonnenschein und mit dem, was auf den ersten Blick im Schatten verborgen liegt. Ich glaube, »Noto« ist ein Roman, der sich am Besten als Gefühl beschreiben lässt. Für mich war es von Sommerhitze glühender, flimmender Asphalt mit dem Versprechen auf nahes, kühles Meer und einer Waffel Schokoeis in der Hand, das immer ein wenig schneller schmilzt, als man es essen kann. Wenn ihr euch darauf einlasst, wartet ein besonderer Roman auf euch.

»Aber mit Orten ist es wie mit Menschen. Man liebt sie so sehr, dass man die Fehler zu übersehen bereit ist. Oder auch: Man kann sie nur lieben, weil sie Fehler haben.«




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Daten zum Buch
Titel: Noto
Autor*in: Adriano Sack
Sprache: Deutsch
Verlag: Nagel & Kimche
Hardcover | 336 Seiten | ISBN: 978-3-312-01314-2

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