Rezension zu »Mühlensommer« von Martina Bogdahn

 »Man weiß nie, wo es hingeht im Leben, aber man weiß immer, wo man herkommt.«

Als alleinerziehende Mutter zweier Teenager-Töchter und Leiterin einer Marketingagentur in München gehört Stress zum Alltag von Maria. Umso mehr freut sie sich auf ein gemeinsames entspannendes Sommerwochenende in der Berghütte eines befreundetes Paares samt deren Kindern fernab von Arbeit, Großstadt und Alltagsstress. Doch kaum ist der anstrengende Aufstieg geschafft, muss Maria zurück. Ihre Mutter ruft an, der Vater hatte einen schweren Unfall und liegt im Krankenhaus. Marias Bruder ist selbst noch im Urlaub, Maria also die einzige, die helfen kann, den Bauernhof der Familie am Laufen zu halten, für die aufgelöste Mutter da zu sein und sich um ihre demente Großmutter zu kümmern. So kehrt Maria zurück auf den fränkischen Hof, den Ort ihrer Kindheit und Jugend, dem sie vor langer Zeit von gelegentlichen Wochenendbesuchen abgesehen den Rücken gekehrt hat, um sich ein Leben fernab von Kuhmist und Schweinestall aufzubauen. Jetzt, zurück vor der alten Mühle, wartet nicht nur die Realität auf sie, sondern auch ein Abtauchen in die Momente ihrer Kindheit und Jugend. Ein Aufwachsen zwischen Hopfenernte und sonntäglichen Kirchenbesuchen, zwischen Kleingeistigkeit und Zukunftsträumen, zwischen harter, mühsamer, nie endender Arbeit und nostalgischen Erinnerungen an unbeschwerte Landidylle. Ein Kontrast, der auch das Hier und Jetzt prägt, wenn Erinnerungen an ertragreiche Ernten auf die harte Realität der Landwirtschaft treffen. Als Marias Bruder Thomas samt Familie auf den Hof zurück kehrt und der Zustand des Vaters nach wie vor kritisch ist, müssen alle zusammenarbeiten, um den Hof am Laufen und die Familie zusammenzuhalten. Doch alte wie neue Probleme wollen in diesem heißen Mühlensommer ans Licht und werfen so manche Schatten auf die vermeintliche Idylle.

Wenn es ein Wort gibt, das »Mühlensommer« am besten beschreibt, wäre das wohl entschleunigend. Dieser Roman schafft es, ein wohliges Lesegefühl zu kreieren, das beim Lesen Raum gibt zum Durchatmen. Man kommt zur Ruhe und wenn man wie ich vom Dorf kommt, werden auch die ein oder anderen persönlichen Erinnerungen wach. Ich war zurück in meiner Kindheit in Franken und wurde ich doch fernab von Landwirtschaft groß, gehörte der regelmäßige Geruch nach Kuhdung, landwirtschaftliche Betriebe in der Nähe, die schier endlos wirkenden Sommer und diese langen Tage, die man mit den Kindern der Nachbarschaft auf Entdeckungstour verbrachte, bis man in der anbrechenden Dunkelheit von den Stimmen der Eltern nach Hause gerufen wurde, einfach dazu. Man kann also getrost sagen, dass »Mühlensommer« in den Anekdoten an Marias Kindheit nicht an Nostalgie spart. Es sind kleine Momente des Landlebens, die von harter Arbeit, Entbehrung und Enttäuschung erzählen, aber auch von Freiheit, frischer Luft und Glück. Ja, »Mühlensommer« ist nostalgisch im besten Sinne, wirft aber gleichzeitig auch ein (leider) ehrliches und seitenweise brutales Bild auf den Alltag der Landwirtschaft. Der geschilderte Umgang mit Nutztieren war teilweise einfach nur furchtbar zu lesen, die Degradierung der Tiere auf Objekte, ihre Austauschbarkeit. Diese Szenen zu lesen hat mir wieder sehr bewusst vor Augen geführt, warum ich keine Tiere esse, warum ich die nach wie vor gängigen Praktiken der Landwirtschaft im Umgang mit Lebewesen mehr als bedenklich und fragwürdig finde. Besonders Maria Großmutter war eine Figur, die mir im Laufe des Buchs zunehmend unsympathisch wurde, egal, ob im Umgang mit Tieren oder anderen Menschen. Ja, sie ist eine andere Generation, aber Leben hat Wert, Punkt. Allgemein zeichnet »Mühlensommer« ein authentisches Bild der Landbevölkerung, damals wie heute. Zeigt, wie wenig sich doch in mancher Hinsicht seit Marias Kindheit getan hat. Die Szenen der Männer der Freiwilligen Feuerwehr beispielsweise könnten sich erst letztes Jahr genau so im Ort meiner Kindheit zugetragen haben. Das Getratsche, das Festhalten an starren Traditionen, die Ablehnung von Veränderungen, schließlich wurde es schon immer so gemacht, die Abneigung gegen ein allgemeines Außen, der Roman beschönigt auch hier wenig und schafft es doch gleichzeitig, auch dies in ein nostalgisches Licht zu rücken. 

Ich hätte mir lediglich ein wenig mehr Raum für die Gegenwart gewünscht: für das Miteinander von Maria und ihrer Familie, die zwischenmenschlichen Interaktionen und Gefühle. Mehr Raum für die erwachsene Maria, für ihre Gedanken und Erlebnisse, ihre Lebensrealität als alleinerziehende, arbeitstätige Mutter, deren Herz in Wahrheit hin- und hergerissen ist zwischen Land und Stadt. Doch eben dieses Hin- und Hergerissensein ist das, was »Mühlensommer« perfekt einzufangen schafft: zwischen Vergangenheit und Gegenwart, alten Traditionen und Fortschritt, klassischer Landwirtschaft und notweniger Veränderung, Brauchtum und Modernität, Kindheit und Erwachsensein, Landidylle und Demaskierung, Nostalgie und Realität, der Versuch einer Annäherung der Widersprüche. Für mich ist »Mühlensommer« ein authentischer Heimatroman im besten Sinne, der mir ein paar Stunden zum Durchatmen und Erinnern geschenkt und mich dennoch bildhaft daran erinnert hat, warum ich nicht zurück möchte aufs Land.




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Daten zum Buch
Titel: Mühlensommer
Autor*in: Martina Bogdahn
Sprache: Deutsch
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Hardcover | 336 Seiten | ISBN: 978-3-462-00478-6

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