Rezension zu »Issa« von Mirrianne Mahn

»Mein Gefühl der Verlorenheit, gefangen zwischen zu Schwarz in Deutschland und zu deutsch in Kamerun. [...] Dieses immer Zu-viel-oder-zu-wenig-Gefühl ist mein ständiger Begleiter.«

Issa graut es vor der Reise in das Land ihrer Kindheit, das sie schon so lange nicht mehr gesehen hat, und das sie nur ihrer Mutter zuliebe besucht. Schwanger, müde und frustriert sitzt Issa im Flugzeug von Frankfurt nach Douala, Kamerun. Und auch ein bisschen erleichtert, dem Chaos Zuhause zu entkommen, Abstand zwischen sich und ihre Familie zu bringen, denn alle scheinen zu wissen, was das Beste für sie ist: Ihr weißer Freund möchte sie am liebsten sofort heiraten, dabei streiten die beiden nur noch, ihre Mutter ist für eine Abtreibung und Issas Vater hält sich für zu jung, um bereits Großvater zu werden. Zudem fürchtet ihre Mutter um das Leben des Kindes und lässt Issa keine Ruhe, bis diese einwilligt, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und alte, heilsame Rituale durchzuführen, um das ungeborene Kind zu retten. In Douala trifft sie ihre weitläufige Verwandtschaft wieder und verbringt seit Langem Zeit mit ihrer Großmutter und Urgroßmutter. Besonders die Großmutter wirft einen strengen Blick auf Issas Bemühungen, die sich auch in ihrem Geburtsland nicht diesem zähen, nagenden Gefühl des Dazwischen entziehen kann – sie ist zu Schwarz für Deutschland, zu deutsch für Kamerun. Die Rituale fordern emotional einiges von Issa, deren Reise sich immer mehr zu einer inneren Reise auf der Suche nach der eigenen Identität entwickelt. Die Handlung springt dabei immer wieder zwischen Issas Gegenwart in 2006 und der Vergangenheit – angefangen bei Issas Vorfahrin Enanga, die 1903 während der deutschen Kolonialherrschaft aufwächst und im Alter von 12 als Folge einer langen Phase des sexuellen Missbrauchs vom deutschen Plantagenbesitzer geschwängert wird. In Rückblenden erleben wir so Stück für Stück die Geschichte der Frauen, von denen Issa abstammt, und verfolgen ihren Kampf nach Selbstbestimmung.

»Du musst in die Vergangenheit schauen, um die Gegenwart zu verstehen, damit du deine Zukunft gestalten kannst.«

»Issa« ist ein einfühlsames, bewegendes und generationsübergreifendes Porträt einer Familie Schwarzer Frauen. Zwischen Gegenwart und Vergangenheit webt es Fäden, die ein gegenseitiges Verstehen ermöglichen. Obwohl die Handlung in Kamerun spielt, werden über die Generationen hinweg immer wieder Verbindungen nach Deutschland und Europa geknüpft. Eine Geschichte wird erzählt, die von Kolonialisierung, Rassismus und Ausbeutung von People of Color einerseits und von misogynen Machtgefügen und der strukturellen Unterdrückung Schwarzer Frauen andererseits handelt. Über die Generationen hinweg verändern sich die Situationen, die Orte, an denen Kämpfe um Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichberechtigung ausgetragen werden müssen. Was bleibt ist der Umstand, dass das Kämpfen nicht aufhören kann, weil die Probleme sich zwar verändern, aber bleiben. »Issa« ist eine Reise durch eine Vielzahl an ernsten Themen, sei es der Alltagsrassismus, der Issas Kindheit in Deutschland prägte, oder Enanga, die nicht nur als Kind sexuell missbraucht wurde, sondern auch zwangsverheiratet. Wir befinden uns zwischen Kindersterblichkeit und Armut, Polygamie, Weltkriegen und wechselnden Kolonialmächten. Ein Jahrhundert, das schwer wiegt auf den Seelen der fünf Frauen. Ein Jahrhundert, das Traumata von einer an die nächste Generation weiterreicht. Keine leichte Kost, aber mit viel Herz und einer überraschenden Leichtigkeit erzählt, die einen trotz der schweren Themen durch die Seiten fliegen lassen. Und auch: fünf Frauen, die kämpfen, lieben, leiden, hoffen, bangen, leben. Ein kraftvolles, beeindruckendes Debüt einer Autorin, von der ich hoffe, dass sie noch viel mehr zu sagen hat.




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Issa
Autor*in: Mirrianne Mahn
Verlag: Rowohlt
Hardcover | 304 Seiten | ISBN: 978-3-498-00390-6

Kommentare