Rezension zu »Sund« von Laura Lichtblau

»Stell dir vor, hätte ich sagen können, du bist auf einer Insel, auf der alle so tun, als wäre alles gut, aber gar nichts ist gut.«

Die Ich-Erzählerin ist am Sund angekommen. Während sie auf das Eintreffen ihrer Geliebten hofft und sich eigentlich in die Nachforschungen zur NS-Vergangenheit ihres Urgroßvaters vertiefen sollte, gerät sie mehr und mehr in den Sog der nahegelegenen Insel Lykke, die sie mit seltsamen nächtlichen Gesängen unheil- und doch verheißungsvoll zu locken scheint. So lässt sie die Vergangenheit eines Tages ruhen und bricht auf nach Lykke, nichts ahnend von den Geheimnissen der Gegend, die sie in tiefer hineinziehen in die Vergangenheit als jemals zuvor. Dabei trifft sie auf Menschen, verschlossen und rau wie die Gegend selbst, selbst Geheimnisse tief in ihren Seelen verbergend und ablehnend, ja gar ungehalten auf Fragen reagierend. Fragen, die sie dennoch stellt, Fragen, denen sie auf den Grund geht und die zu einer grausamen Verstrickung ihrer eigenen Familiengeschichte mit der Gegend führen. Alte Wunden, noch immer nicht verheilt, nur verschwiegen, Totenstille, doch lebendig wie nie.

»Fast dreißig Jahre Grusel wie gelöscht.«

Angesprochen vom Inhaltstext habe ich mich auf das Abenteuer »Sund« eingelassen. Jetzt, Wochen später, bin ich noch immer etwas ratlos. Die Intention der Autorin? Ich weiß es nicht. In diesem schmalen Roman steckt viel, das ich nicht so recht zu Greifen bekommen habe. Dies hängt in erster Linie mit dem Erzählstil zusammen, der definitiv eine Eingewöhnung braucht und sich auch dann nicht allen Leser*innen öffnen wird. Es handelt sich hierbei um einen hochkomplexen Roman, der seine Leser*innen mit einer beeindruckenden Mischung aus literarisch-poetischer Sprache auf der einen und sachlich-nüchterner Tatsachenschilderung auf der anderen Seite fordert. Ja, es scheint fast ein Kampf zweier Extreme zu sein. Ein Kampf um die Psyche der Erzählerin: Die mystische Poetik von Lykke und Sund wirken auf die Protagonistin, ihr Erleben wird zunehmend surreal, die Wirklichkeit gerät aus den Fugen. Dagegen: Eine Aufreihung an Fakten der Vergehen der Medizin an Menschen im Namen des Nationalsozialismus, klinisch, unkommentiert, furchtbar. Ein schwebender Zustand der Trance, irgendwo zwischen erlösendem Vergessen und schmerzendem, notwendigen Erinnern. Das Einlassen darauf ist so essenziell wie schwierig. Hinsichtlich der zitierten Quellen aus der NS-Zeit fehlte mir die nötige Aufarbeitung und Einordnung, ich fühlte mich teilweise verloren mit diesen Worten.

»Sund« hat sich mir als durchdrungener, rastloser Roman präsentiert, dessen Tragweite und Inhaltstiefe sich mir leider nur bedingt offenbart hat. Ich fühle mich schwebend, als hätte mich etwas gestreift, das mich eigentlich hätte umreißen sollen. 




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Daten zum Buch
Titel: Sund
Autor*in: Laura Lichtblau
Sprache: Deutsch
Verlag: C.H. Beck
Hardcover | 130 Seiten | ISBN: 978-3-406-81377-1

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