Rezension zu »Notizen zu einer Hinrichtung« von Danya Kukafka

»Da muss es doch eine Zeit gegeben haben, hatte der Reporter zu dir gesagt. Eine Zeit, als Sie noch nicht so waren. Sollte es sie je gegeben haben, würdest du dich gern daran erinnern.«

Ansel Packer hat noch zwölf Stunden zu leben. Zwölf Stunden, die er im Todestrakt mit Nachdenken verbringen wird. Stunden, in denen er die Entscheidungen hinterfragt, die ihn zu diesem Punkt geführt haben. Die kleinen und die großen Momente, manche außerhalb und manche innerhalb des eigenen Handelns. Wir begleiten Ansel in seiner Gedankenwelt, während die Stunden dahin rinnen. Ist man bereit für den Tod, wenn man ihn kommen weiß? Fühlt man sich schuldig, wenn man wegen seiner aufgeladenen Schuld zum Tode verurteilt wird? Worauf kommt es am Ende wirklich an? Ja, wir begleiten Ansel Packer auf seinem letzten Lebensweg und doch ist dies keine Geschichte über Ansel. Denn Ansels Vergangenheit erfahren wir nicht von ihm, sondern in Rückblenden aus Sicht zweier Frauen, deren Leben Ansel kreuzte, veränderte, in mancherlei Hinsicht auch zerstörte. 

»Wie sähe das Universum aus, wenn sie ihre Kinder gerettet hätte statt sich selbst?«

Wir hören die Lebensgeschichte von Lavender, die in den 1970ern im Alter von 17 Jahren auf einer abgelegenen und heruntergekommenen Farm im Hinterland ihr erstes Kind zur Welt bringt. Sie wird ihn Ansel taufen. Sie wird versuchen, ihrem Sohn eine gute Mutter zu sein und doch die nächsten Jahre immer mehr verzweifeln unter der gewalttätigen Hand ihres Ehemannes. Wir hören die Lebensgeschichte von Saffy, die in den 1980ern als jugendliche Waise in einer Pflegefamilie landet. Erst wird sie sich angezogen fühlen vom gleichaltrigen Pflegekind Ansel, doch nach und nach wird er ihr Angst machen. Solche Angst, dass sie ihr ganzes Leben darauf ausrichten wird, für andere stark zu sein. Weitere Frauen werden diese Wege kreuzen und zeigen, wie verschlungen und unmittelbar verbunden sich Lebenslinien überlagern. Wie fragil alles ist. Wie viel Furchtbares und Schönes im Dazwischen passiert, wie viel Leben. Nach und nach wird so nicht nur Ansels Leben, sondern vor allem ein starkes, einfühlsames Porträt von Weiblichkeit gezeichnet. 

»Sie kannte Gewalt, hatte sie ein Leben lang verfolgt, und sie wusste, dass sie nie ganz verschwand, wie ein hartnäckiger Fleck. Gewalt hinterließ immer einen Abdruck.«

»Notizen zu einer Hinrichtung« erzählt in einer faszinierenden Kombination aus vorwärts- und rückwärtsgewandter Handlungsstränge, die sich immer mehr annähern und am Ende überlappen. Es ist ein weiblicher Text, eine weibliche Übernahme eines Narrativs, das viel zu oft die Aufmerksamkeit auf die Täter*innen lenkt und ihre Opfer auf eine Opferrolle reduziert. Dieser Roman ist anders, erfrischend, fesselnd. Denn Ansel Packer wird Stück für Stück, Seite für Seite entzaubert. Ihm wird die Faszination genommen, die insbesondere männlichen Serientätern immer wieder anzuhaften scheint. Er wird reduziert auf das, was er und so viele andere auch im tiefsten Inneren ist: Ein gebrochener Mann. »Notizen zu einer Hinrichtung« ist kein True Crime und doch könnte es eines sein. Denn diese Geschichte wiederholt sich Mal um Mal, an den verschiedensten Orten der Welt, nimmt unendliche Formen an und bleibt in ihrem Kern doch gleich: Ein Mann, der einer Frau das Leben nimmt. Eine furchtbare, simple Tatsache, für die der Täter viel zu viel Aufmerksamkeit erhält, in den Medien auf gewisse Weise glorifiziert wird und die Opfer hinter ihm verschwinden. Sie sollten im Zentrum stehen. Hier, in diesem Roman, kommen sie zu Wort. Stellvertretend für so viele. Es ist ein komplexer Roman, der unter die Haut gehen und fesseln kann in seiner eigentlichen Trivialität. Und doch ist er besonders dadurch, dass er diese eigentliche Trivialität auf vielschichtige Weise skizziert und projiziert. Denn wir bauen eine Verbindung auf, zu den Frauen, aber auch zu Ansel. Am Ende können wir als Leser*innen kaum anders, als ein gewisses Maß an Mitgefühl für ihn zu entwickeln. Raffiniert geschrieben und forciert durch die Wahl der Perspektive in Ansels Erzählstrang erlaubt der Roman einen vielleicht unangenehmen, aber differenzierten und unmittelbaren Blick auf Täter*innenschaft. Ist ein Mensch nur gut oder böse? Gibt es nur schwarz oder weiß? Moral oder Unmoral? Wo bleiben die Grautöne? Findet es heraus. 

»Es wäre eine Tragödie, dachte sie – unmenschlich geradezu –, wenn man uns nur über das definierte, was wir hinterlassen.«




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Daten zum Buch
Titel: Notizen zu einer Hinrichtung
Autor*in: Danya Kufafka
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea O'Brien
Sprache: Deutsch
Verlag: Blumenbar
Hardcover | 348 Seiten | ISBN: 978-3-351-05121-1

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