Rezension zu »Magnolia« von Monica Brashears

»Und die brutalsten Tode der noch Lebenden treten ein, wenn der Körper genommen wird.«

Für die neunzehnjährige Magnolia hält das Leben kaum Gutes bereit: Zu ihrer drogenabhängigen Mutter hat sie schon lange keinen Kontakt mehr und als ihre Groß- und Ziehmutter Mama Brown stirbt, ist die junge Frau plötzlich ganz allein auf der Welt. Ihr Bankkonto ist überzogen, unklar, woher die nächste Mahlzeit oder gar das Geld für die anstehende Miete kommen soll. Ihr übergriffiger und aufdringlicher Vermieter, der Mieterlass gegen sexuelle Gefälligkeiten eintauschen möchte, macht Magnolia zunehmend Angst. In ihrer Einsamkeit flüchtet sie sich in eine zufällige Männerbegegnung nach der nächsten und erfährt nur Befriedigung, wenn sie es schafft, Angst in den Blicken der Männer auszulösen und sich mächtig zu fühlen  eben jene Macht, die ihr durch Angst viel zu oft selbst genommen wird. In ihrer Verzweiflung nimmt Magnolia schließlich einen seltsamen Auftrag von dem Bestatter Cotton und dessen alkoholkranker Tante Eden an. Als Model soll sie die Gestalt verstorbener Mädchen und Frauen annehmen, damit sich deren trauernde Familien via Videoanruf verabschieden können. Magnolia scheint wie geboren für den Job, der ihr gutes Geld und ein Dach über dem Kopf einbringt. Doch obwohl sich Magnolias finanzielle Situation bessert, wird ihr Leben nicht weniger kompliziert. In ihrer Trauer und Einsamkeit sieht sie immer häufiger Mama Brown vor sich und Cottons Forderungen werden zunehmend seltsamer und bedenklicher und erreichen schließlich den Punkt, an dem sich Magnolia ihren Ängsten stellen muss, um herauszufinden, wie viel sie bereit ist, von sich zu geben, und wie viel ihrer Selbst sie sich von anderen nehmen lassen kann, ohne selbst verloren zu geben.

»Denn was, wenn er alles verschlingt, was er kriegen kann, und nur noch Knochen von mir übrig bleiben?«

»Magnolia« erzählt eine Geschichte davon, was es im amerikanischen Süden noch immer bedeutet, schwarz, arm und weiblich zu sein. Für Magnolia ist jeder Tag ein Kampf. Ums Überleben, um Sichtbarkeit, um Unversehrtheit und um ihr eigenes Selbst. Sinnbildlich und tatsächlich entsprechen Cotton und Eden einer weißen und gut betuchten Schicht, die Magnolias Notsituation schamlos zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzt. Cotton und Eden objektifizieren Magnolia für ihre ganz eigenen Zwecke, versuchen sie zu formen und in etwas zu verwandeln, das sie nicht ist. Eine Puppe, ein leeres Gefäß, dankbar darauf wartend, von ihnen nach ihren Wünschen ausgefüllt zu werden. Leere Leinwand für ihre Sehnsüchte, komplett austauschbar und auf das reduziert, was sie jeweils von ihr brauchen, mit Geld gekauft, das auf der einen Seite im Überfluss da ist und der Verschwendung frönt, auf der Seite der Empfängerin aber Leben bedeutet. Magnolia ist sich ihrer Rolle in dem Ganzen bewusst, hadert damit, als schwarze Frau zum Objekt weißer Begierde zu werden, und weiß doch, dass sie nicht nein sagen kann zu dem Geld, ganz egal wie demütigend die Aufträge werden. Aufträge, die ihrerseits nur dem Zweck zu dienen scheinen, schwarze Frauen auf eine problematische Art zu objektifizieren, deren Identitäten auf eine White Gaze zu beschränken und deren schmerzliche Schicksale zu verharmlosen. Es ist eine ganz und gar korrupte Welt, in der sich Magnolia in Cottons Haus wiederfindet und während sie einerseits den Weg des geringsten Widerstands wählen und sich ihrem unangenehmen Schicksal, den verschiedenen Formen des Missbrauchs fügen möchte, gewöhnt an ein Leben gezeichnet von Missbrauch, wird andererseits ihr kämpferisches Herz aktiv, in Form des Geistes ihrer verstorbenen Großmutter, ein moralischer Kompass in einer verlorenen Welt. »Magnolia« ist ein sehr getriebenes Leseerlebnis, irgendwo zwischen den Welten, zwischen Wach und Traum, Realität und Surrealität, Sein und Schein, Begierde und Abscheu, Macht und Angst. Die Grenzen verschwimmen zunehmend, je mehr Magnolia verloren geht. Bei diesem Debütroman steckt viel zwischen den Zeilen, ein Abbild weiblichen Erlebens von People of Color, fein gezeichnet durch eine kraftvolle, spielerische und verstörende Analogie. Zuzuhören lohnt sich.

»Was auch immer ich jetzt mache, ein Leben ist nichts für immer, und etwas, das für immer ist, ist kein wünschenswertes Leben.«




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Daten zum Buch
Titel: Magnolia
Autor*in: Monica Brashears
Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann
Sprache: Deutsch
Verlag: Ecco
Hardcover | 352 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0065-7

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