Rezension zu »Ich träumte von einer Bestie« von Nina Blazon

Fleur führt ein Leben in selbst gewählter Einsamkeit. Als Datenforensikerin verbringt sie den Großteil ihrer Zeit im Internet, zwischen Einsen und Nullen fühlt sie sich sicherer, als sie es in der realen Welt je könnte. Hier kann sie verschwinden, unsichtbar sein, die Narben ihrer Vergangenheit vor sich und anderen verbergen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind selten und wenn, halten sie nie lange. Denn Fleur lässt niemanden an sich heran, zieht die Lüge selbst der kleinsten persönlichen Wahrheit über sich vor. Doch als ihr leiblicher Vater stirbt, wird Fleur wider Willen aus ihrem selbstgewählten Versteck (oder Gefängnis?) in das Licht der Realität gezerrt. Sie erbt das Haus ihrer Großmutter in Frankreich und beschließt, dorthin zu reisen. Dort wird sie mit unbekannten, unterdrückten Teilen ihrer Vergangenheit und der Vergangenheit ihrer Familie konfrontiert. Eine emotional aufreibende Reise beginnt, quer durch Frankreich in die Auvergne, eine Zeitreise ins Frankreich des 18. Jahrhunderts auf Spurensuche nach den Ursprüngen der Bestie des Gévaudan. Eine Reise, die Fleur zu sich selbst führen und ihr seit Kindheit an und mit allen Mitteln verborgenes Geheimnis aufdecken könnte. Doch auf ihrer Reise trifft Fleur auf Hindernisse, sei es ihr eigener Widerstand gegen die mögliche Wahrheit, die Angst ihrer Mutter, Fleur könne schlafende Hunde wecken, oder die Menschen in der Auvergne, die ihr nicht alle wohl gesonnen sind. 

Die Handlung von »Ich träumte von einer Bestie« schien auf den ersten Blick wie für mich geschaffen. Dennoch konnte sie mich nicht ganz abholen und mittragen. Die Verbindung aus Heute und Damals, aus Problem- und Vergangenheitsbewältigung auf der einen und das Abtauchen in die Ursprünge einer französischen Bestien-Legende aus einem anderen Jahrhundert auf der anderen Seite sowie die Verbindungen, die dazwischen geschaffen wurden, haben mir auch wirklich gut gefallen. Ich habe das Buch vor einem Monat beendet und bis jetzt gebraucht, die Rezension zu schreiben, weil es mir schwer fiel, den genauen Punkt zu benennen, an dem mein Problem verortet lag. Ich denke, Fleurs Geheimnis wurde mir einfach zu sehr aufgebauscht. Immer wieder wurde es von ihr und ihrer Familie angesprochen, angedeutet und doch im Dunkeln belassen. Irgendwann war das für mich nicht mehr spannend und neugierig machend, sondern eher ein zunehmend genervtes Warten darauf, dass das Kind endlich beim Namen genannt wird. Und dann war es eben nicht halb so schlimm wie in meiner Fantasie durch die Mengen an Anspielungen vermutet. Dazu kamen einige Längen im Mittelteil. Kurzum: Die Neuerzählung der französischen Legende, die damit verbundene Prise an Mystik und Dunkelheit fand ich klasse, ich hätte gerne noch mehr dazu erfahren, wäre gerne tiefer eingetaucht in diese Welt. Fleurs Reise zu sich selbst wiederum hätte für mich kompakter und weniger aufgebauscht sein können. So bleibt der Roman für mich ein bisschen ungreifbar. Ich wurde eben einfach nicht warm mit Fleur und ihrer Art. Was ich sehr schade finde, denn die Grundthemen von Fleurs Geschichte fand ich sehr spannend und interessant: Wie bewältigen wir die Dämonen unserer Vergangenheit? Welchen Einfluss haben familiäre Vorgeschichte und die Meinungen derer, die uns am nächsten stehen, auf unser jetziges Selbst und die Entscheidungen, die wir treffen? Wie viel Raum wollen wir dem geben? Wie finden wir heraus, wem wir vertrauen können und wer uns nicht gut tut? Faszinierende, zentrale Fragen, deren Potenzial für mich im Verlauf des Romans nicht vollends ausgeschöpft wurden. Sehr positiv erwähnen möchte ich zum Schluss den bildhaften, eindringlichen Schreibstil der Autorin, der mich besonders in den Bestien-Momenten mitgenommen hat in ein geheimnisvolles, düsteres Frankreich einer anderen Zeit. 




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Daten zum Buch
Titel: Ich träumte von einer Bestie
Autor*in: Nina Blazon
Sprache: Deutsch
Verlag: HarperCollins
Hardcover | 448 Seiten | ISBN: 978-3-365-00300-8

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