Rezension zu »Wir, wir, wir« von Dizz Tate

»Unser Werden hatte nichts mit Sanftmut zu tun, wir wurden aus Wut geboren, wir spürten es tief in uns.«

Falls Landing ist ein Ort für sich: klein, umgeben von Freizeitparks, sumpfigen Seen, bestrahlt von der Sommersonne Floridas, auf seine Art abgeschnitten vom Rest der Welt und doch Teil des großen Ganzen. Eine Trockenheit und eine Beengtheit, die unweigerlich folgt auf drückende, lähmende Hitze. Die Jugendlichen in Falls Landing schweben in einem Zustand aus Zukunftsträumen, fast schon zu groß für die Enge des Ortes, und einer Aussichtslosigkeit, die sich langsam Bahn bricht, je älter sie werden. Zu tun gibt es nicht viel für die Clique der 13-Jährigen. Alles, was sie tun, ist Sammy zu folgen. Sammy, selbst nur ein paar Jahre älter als ihre Gefolgschaft, ist die Tochter des Priesters des Ortes. Und alles, wovon sie selbst träumen zu sein: schön, beliebt, mutig, selbstbewusst und zusammen mit einem der coolsten Jungs der Schule. Die Clique folgt ihr als Schatten, beobachtet, kopiert, projiziert die eigenen Träume auf sie. Die Jugendlichen werden zu einer Einheit, einem Wir mit einer geteilten Identität, das bald obsessiv um Sammy kreist. Als Sammy an einem heißen Tag spurlos verschwindet, kommt Unruhe in die Einheit, langsam werden Risse sichtbar, die das co-abhängige Gefüge langsam aber sicher ins Wanken bringen.

»Denn jedem Glück wohnt auch seine eigene Zerstörung inne, wie Glas, das nur darauf wartete, von uns zertrümmert zu werden.«

»Wir, wir, wir« ist ein faszinierend komplexer Roman mit surrealen Momenten. Eindrücklich transportiert er die drückende Hitze, die Beengtheit und Trostlosigkeit des Ortes und der Emotionen der Gruppe. Sie sind ein Wir und als ein Wir agieren und sprechen sie. Durchbrochen von Zukunftseinblicken, die uns Einblicke in das Leben der Einzelnen als Erwachsene erlauben. Noch immer durchzogen von den Geschehnissen der Jugend, nie ganz los gelassen und prägend auf nachhaltige Art. Wie viel kaputt gehen kann in dieser Zeit. Wie einschneidend die Auswirkungen der Handlungen sein können, die wir in der Jugend erleben. Wie prägend die Personen, mit denen wir uns umgeben. Was wir geben, um Teil von etwas Gemeinsamen zu sein, was wir dafür opfern. Was auf den Moment folgt, wenn die Einheit unweigerlich reißt und wir plötzlich alleine sind. »Wir, wir, wir« ist eine Geschichte über die Jugend und den Moment, in dem sie unweigerlich, oft brutal ein Ende findet. Eine Geschichte, die von Müttern und Töchtern handelt, von abwesenden, gefährlichen Männern. Von Traumata und Ängsten, von Abhängigkeit, Freiheitsdrang und Missbrauch. Es ist ein Feststecken und ein Wegwollen, ein Hoffen und Bangen, ein Aufwachsen in feindseliger Umgebung. Ernüchterung. 

»Manchmal verdient es die Welt, in Flammen aufzugehen.«

Ich weiß nicht woran es lag, aber ich habe den Roman einfach nicht ganz zu fassen bekommen, habe den Punkt des Zugangs nicht gefunden. Ich blieb auf Distanz und konnte das Potenzial an brutaler Eindringlichkeit nicht fühlen, sie war spürbar und tastbar, aber für mich leider immer eine Armlänge entfernt. Es steckt viel Tiefe, Komplexität, Potenzial und Schmerz in diesem Debütroman der Autorin. Ich glaube, dass die, die Zugang dazu finden, mitgerissen werden. Ich werde die Autorin definitiv im Auge behalten, ich glaube, sie hat einiges zu sagen, das gehört werden sollte.




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Daten zum Buch
Titel: Wir, wir, wir
Autor*in: Dizz Tate
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Heike Reissing
Verlag: Ecco
Hardcover | 256 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0091-6

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