Rezension zu »Das leise Platzen unserer Träume« von Eva Lohmann

Vor einigen Jahren haben sich Jule und David ihren Traum erfüllt, der Stadt den Rücken gekehrt und ein altes Bauernhaus auf dem Land gekauft. Während David für die Arbeit jeden Tag zurück kehrt in die Stadt, spielt sich Jules komplettes Leben in der begrenzten Weite des Dorfes ab. Noch immer fühlt sie sich fremd im Umgang mit den Menschen dort, mit der Indirektheit der Begegnungen. Das ersehnte Glück der Landidylle ist ausgeblieben. Auch, weil die von beiden so sehr ersehnten Kinder ausgeblieben sind. Jetzt ist Jule über 40, hat seit Jahren keine körperliche Beziehung mehr zu ihrem Mann und ihre Träume sind langsam am Zerplatzen, so sehr sie auch festhält an ihnen. Besser nicht nachdenken. Hellen wiederum, ebenfalls über 40 und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, denkt viel an Jule. Denn seit geraumer Zeit hat Hellen eine Affäre mit David. Im Gegensatz zu Jule kann Hellen gar nicht aufhören, über Jules Leben nachzudenken. Dabei will Hellen nicht, dass sich etwas ändert zwischen David und ihr. Eine Affäre ohne emotionale Bindung ist genau das, was Hellen nach ihrer harten Trennung und in ihrem Leben braucht. Nicht mehr, nicht weniger. Doch wie hält Jule es aus, eine lieblose, sexlose, voneinander entfremdete Ehe zu führen? Warum halten David und Jule an einem gemeinsamen Traum fest, der schon lange und so offensichtlich zerplatzt ist? Warum unglücklich zusammenbleiben anstatt getrennt nach neuem Glück zu suchen? Jule weiß nichts von der Affäre, weiß nichts von Hellen, deren Gedanken und deren Anteil in ihrem Leben, ihrer Ehe. Noch nicht. Denn Stück für Stück bewegen sich die Leben der beiden Frauen aufeinander zu.

»Vielleich musste es ihnen für eine Trennung noch ein kleines bisschen schlechter gehen, dachte Jule.«

»Das leise Platzen unserer Träume« fühlt sich an wie ein wohlig warmer Tag im Spätherbst, diese perfekte Mischung aus Abschied und Neuanfang, irgendwo zwischen den Zeiten, bereit für Veränderung und doch noch nicht ganz bereit, loszulassen was war und hätte sein können. Es sind Geschichten wie diese, warum ich das Lesen so sehr liebe. Leise, unaufgeregte Geschichten, die sich anfühlen wie das Leben. Als hätte sich jemand nur hingesetzt und geschrieben, was er/sie beobachtet, gefühlt, erlebt hat. Alltägliches, kleine Momente, die in der Summe zu Lebensgeschichten werden. Die Geschichten von Hellen und Jule und auch Davids Geschichte, die uns Eva Lohmann erzählt, sind zutiefst menschlich, ehrlich. Hellen, die die Unbeschwertheit mit David genießt, und Jule, der sie abhandengekommen ist. Hellen, die sich nach Davids Berührungen sehnt, und Jule, die es vor ihnen graut. Hellen, die den Abend mit David verbringt, und Jule, die neben ihm einschläft. Hellen, die nicht mehr von David will als das, und Jule, die zu viel von ihm will und doch eigentlich gar nichts mehr. Hellen, die die Wahrheit kennt, und Jule, die die Augen davor verschließt, weil es zu schmerzhaft, zu anstrengend wäre, sich ihr zu stellen. Nachdem sie Jahre in diese Ehe, in dieses Leben investiert hat, wäre es da nicht Versagen, sich einzugestehen, dass der gemeinsame Weg schon längst zu einer Sackgasse wurde? Ist es nicht leichter, neben einer gewohnten Person zu leben, als allein zu sein? In fein nuancierten Linien zeigt uns der Roman verschiedene Lebensentwürfe, zeigt, wie facettenreich zwischenmenschliche Beziehungen sind, wie vielfältig die Grauzonen und wie persönlich die Frage nach unserem ganz eigenen Moralgefühl. Kann man etwas brechen, das schon zerbrochen ist?

»Betrug ist unmoralisch. Mein zwanzig Jahre jüngeres Ich hat das jedenfalls so gesehen. Vielleicht musste ich einfach nur älter werden, um zu verstehen. [...] Vielleicht reicht es auch einfach, älter zu werden, ohne das Fühlen zu vergessen.« 

Einfühlsam und mit einem bezaubernd feinen, wunderschönen Schreibstil hat sich Eva Lohmann direkt in mein Herz geschrieben. Auf eine feinfühlige Weise erzählt »Das leise Platzen unserer Träume« davon, wie schmerzvoll, befreiend, schwer und erleichternd es sein kann, wenn große und kleine Träume platzen. Was passiert, wenn Lebensentwürfe und Pläne verworfen werden müssen, alles auf Anfang. Wie viel es kostet, wie viel es geben kann. Dieser Roman erfüllt mich mit Hoffnung. Es ist nie zu spät, Raum für neue Träume zu schaffen. Manche Träume müssen platzen. So weh es tut, so viel man investiert hat, am Ende lohnt es sich, loszulassen was hätte sein können und sich auf die Suche zu machen nach dem, was noch sein kann. Wieder Weite spüren statt erdrückender Schwere. Wieder freie Fläche auf der Leinwand, eine weiße, leere Seite, die darauf wartet, beschrieben zu werden. Die Chance auf Glück und neue Träume. 

»Und vor dem Alleinsein hatte sie keine Angst mehr. Nicht, wenn es sich anfühlte wie jetzt gerade.«




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Daten zum Buch
Titel: Das leise Platzen unserer Träume
Autor*in: Eva Lohmann
Sprache: Deutsch
Verlag: Eisele
Hardcover | 224 Seiten | ISBN: 978-3-96161-172-0

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