Rezension zu »Mord auf der Insel Gokumon« von Seishi Yokomizo

»Die Sonne strahlte vom Himmel, das Meer war glatt und friedlich, eine leichte Brise liebkoste die Wangen der Anwesenden. Und dennoch war die Szene bei allem Sonnenschein düster und grauenhaft wie ein Blick in die Hölle.«

1946, frisch aus dem Krieg zurück gekehrt, reist der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi auf die abgelegene, sagenumwobene Insel Gokumon. Er reist im Auftrag seines Freundes und Kriegskameraden Kaemon Kito: Er muss der Familie Kito, der Familie, die die Insel regiert, die furchtbare Nachricht überbringen, dass der älteste Sohn und Erbfolger Kaemon zwar den Krieg überlebt, jedoch auf der Heimreise verstorben ist. Doch neben diesem offiziellen, traurigen Botengang, verfolgt Kosuke mit seiner Reise einen weiteren, geheimen Auftrag Kaemons: Kurz vor seinem Tod bat sein Freund ihn, an seiner statt auf die Insel zu reisen und den bevorstehenden Tod seiner drei Halbschwestern, der unmittelbar bevorstehen soll, zu verhindern. Eine Bitte, die Kosuke ernst nimmt, obwohl er nicht weiß, ob etwas dran ist an der bösen Vorahnung. Doch bereits kurz nach seiner Ankunft wird Hanako, die jüngste der drei Schwestern, grausam ermordert aufgefunden. Kosuke und der Rest der Insel sind geschockt. Jedoch bleibt Kosuke nicht viel Zeit, den Schock zu verarbeiten, Kaemons Warnung klingt bedrohlicher denn je in seinen Gedanken wieder. So beginnt Kosuke mit seinen Ermittlungen, wissend, dass er sich in einem unaufhaltsamen Wettlauf gegen die Zeit befindet, denn wenn sich die Vorahnung bestätigt, wird bald die nächste Schwester Opfer eines grausamen Verbrechens werden ...

Ich habe interessiert, neugierig und ohne konkrete Erwartungen mit »Mord auf der Insel Gokumon« begonnen. Ich habe schon den ein oder anderen historischen Krimi gelesen, aber ein Krimi, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt und bereits in den 1970er im Original erschienen ist, war ein komplett neues Leseerlebnis für mich, bei dem ich nicht so recht wusste, was mich erwarten wird. Obwohl ich am Anfang etwas gebraucht habe, um mir die Namen der Personen zu merken und auseinanderhalten zu können (ein Hoch auf das tolle Personenregister an der Stelle!), kann ich ehrlich und unvoreingenommen sagen, dass mich dieser Kriminalroman absolut positiv überrascht hat! Dies ist unter anderem der wunderbaren Übersetzung von Ursula Gräfe zu danken, die es ermöglicht hat, ein Buch, das zu einer komplett anderen Zeit geschrieben wurde, mit so einer Leichtigkeit lesen zu können. Sprachlich liefert »Mord auf der Insel Gokumon« eine wunderbare Mischung aus Modernität, historischem Bezug und einer gewissen Zeitlosigkeit der Worte. Die ausführlichen und doch nie ausuferndem Beschreibungen des Autors über die Insel, deren Geschichte und Bewohner*innen, zugleich Einblicke in ein Japan, das die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs spürt, haben einen fantastischen historischen, breiten Überblick geschaffen, der sehr dabei geholfen hat, die Geschehnisse, die Denkweise und Handlungen der beteiligten Personen nachvollziehen zu können. Der Kriminalfall und besonders die Auflösung waren spannend zu verfolgen, überraschend und ausführlich. Unaufgeregt erzählt, mit viel Gewicht auf dem emotionalen und gedanklichen Innenleben von Kosuke, dessen bedachte, kluge Art mir sehr sympathisch wurde. Gleichzeitig dominierte zwischen den Zeilen und im Vordergrund der Umriss der Insel und der Menschen, die dort leben. Eine immer präsente Mystik umgab die Handlungsorte, die Einflüsse der japanischen Kultur und Kunst taten ihr Übriges. Am Ende erzählt »Mord auf der Insel Gokumon« eine Wahrheit, die sich durch die Zeiten und Kontinente zu halten scheint: An kleinen, abgeschotteten Orten, an denen jede*r jede*n kennt, kommt es unweigerlich zu Geheimnissen, Missverständnissen, Neid, Missgunst, Zerwürfnissen, Streitigkeiten und Mord. Auf einer Insel, die man als die Vorstufe der Hölle kennt, lauert das Böse. Ich hab's richtig gerne gelesen!




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Daten zum Buch
Titel: Mord auf der Insel Gokumon
Autor*in: Seishi Yokomizo
Sprache: Deutsch
Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe
Verlag: Blumenbar
Hardcover | 336 Seiten | ISBN: 978-3-351-05119-8

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