Rezension zu »Wilde Jagd« von René Freund

»Wie war das mit den Wahrheiten, die schmerzhaft sein können? Ich war offensichtlich momentan darauf abonniert. Meine Frau ist weg, meine Tochter redet nicht mehr mit mir, mein Haus bricht zusammen, und ich stinke aus jeder Pore nach Alkohol. Nun ja, es gibt Schlimmeres.«

Quintus Erlach ist ein 53-jähriger Philosophieprofessor, dessen Leben aktuell nicht so verläuft wie gedacht: Seine Frau hat ihn verlassen, seine Tochter verweigert den Kontakt, aus der Not heraus ist er ins baufällige Haus seiner verstorbenen Eltern in Stein am Gebirge gezogen. Gesellschaft bietet ihm nur Machtnix, der Hund seiner Tochter, um den er sich gut kümmern muss, will er von seiner Tochter noch eine Chance bekommen. Die gelegentlichen Kontakte mit ehemaligen Schulkamerad*innen sind von Distanz geprägt, lange schon ist der Denker über die Grenzen des Ortes am Fuß der Berge hinausgewachsen, während sie zurückgeblieben sind und körperlicher Arbeit nachgehen. Dazu kommt eine Schreib- und Denkblockade in Bezug auf sein neues Buch und der tägliche Alkoholkonsum hat gewaltige Maße angenommen. Achja, da wären natürlich noch die Seeigel-Stacheln, die in seinem inzwischen recht entzündeten Fuß stecken. Aber ansonsten passt eigentlich alles, schlimmer geht schließlich immer. Denkt sich Quintus und trifft auf die Altenpflegerin Evelina, die ihn in einen Vermisstenfall verwickelt: Die Pflegerin, die die Stelle beim alten Zillner vor ihr hatte, ist spurlos verschwinden und Evelina vermutet dank ihrer übersinnlichen Gabe ein Verbrechen. Evelina überredet Quintus, ihr bei ihren Nachforschungen zu helfen – mit Konsequenzen, die Quintus nie hätte vermuten können. 

Im Zentrum standen einerseits die geheimen Ermittlungen von Quintus und Evelina und eine Prise Mystik und jede Menge böse Vorahnungen enthalten. Andererseits wurde Quintus seelisches Innenleben beleuchtet: Wie kam es zum Zerwürfnis mit seiner Familie? Kann er sein Alkoholproblem erkennen? Mit jedem Fußpflegetermin, an dem ein Stachel entfernt wird, entfernt Quintus eine Mauer um seine Psyche. Im Nachgang der Ereignisse von Quintus verschriftlicht tauchen wir Lesenden ein in die Geschehnisse der Geschichte. Wir erfahren nur, was Quintus uns zu diesem Zeitpunkt wissen lassen möchte und müssen uns immer fragen, wie viel Objektivität gewährleistet sein kann. Eine interessante, gut zu lesende Rahmenhandlung irgendwo zwischen Realität und Fiktion. Würde ich nur das Leseerlebnis bewerten, wäre der Roman ein Volltreffer. Treffend und pointiert formuliert bietet der Schreibstil ein sehr angenehmes, spaßiges Leseerlebnis. Leider konnten mich Romanhandlung und -message nicht in gleichem Maße mitreißen und überzeugen, denn ich hatte permanent das Gefühl, dass sich der Autor nicht so ganz und richtig entscheiden konnte, was für ein Buch er nun schreiben möchte. Dieses Buch ist eine wilde Mischung verschiedenster Genres: Mal Krimi, mal Roman, dann wieder Philosophiestunde, abrutschend in Komik und das Übernatürliche, schließlich zurückkehrend zu Gesellschaftskritik und – überraschend – am Ende noch historische Aspekte aufgreifend. Mir persönlich war einfach zu viel los: Zu viel wurde angeschnitten, zu wenig tief genug durchdrungen, dass ich ganz hätte verstehen können. Die Auflösung der Ermittlung kam mir zu plötzlich, zu leicht, hat wichtige Fragen aufgeworfen, die mir nicht mit der notwendigen Tiefe beantwortet wurden. Dies trifft im Übrigen auch auf Quintus private und psychische Probleme zu.

Ich habe das Buch bewusst zwei Wochen liegen lassen bevor ich mich an die Rezension gemacht habe, aber die Wahrheit ist noch immer: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, welche der zahlreichen Messages des Buchs ich als die zentrale herausgreifen soll. Ich weiß nicht, ob es so viel gebraucht hätte. Manchmal ist weniger mehr. Vielleicht war es auch einfach nicht mein Buch. Im Laufe des Buchs fällt das nachfolgende Zitat und ich habe das Gefühl, das beschreibt diese Geschichte am besten – sowohl was meine Leseerwartungen als auch was die Handlung angeht:

»Wenn Sie nicht so krampfhaft versuchen würden, zu sein, was Sie sind, hätten Sie bessere Möglichkeiten, zu werden, was Sie sein könnten.«




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Daten zum Buch
Titel: Wilde Jagd
Autor*in: René Freund
Sprache: Deutsch
Verlag: Zsolnay
Paperback | 289 Seiten | ISBN: 978-3-552-07367-8

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