Rezension zu »Frag nach Jane« von Heather Marshall

»Brave Mädchen werden nicht schwanger, ehe sie verheiratet sind, und falls es doch geschieht, dann tut man eben das, ›was für alle das Richtige ist‹ [...] und gibt das Kind weg. So einfach ist das.«

Im Jahr 2017 findet Angela beim Stöbern in ihrem Antiquitätenladen in Toronto zufällig einen Brief, der vor sieben Jahren an einen ihr unbekannten Namen, aber an die Adresse des Geschäfts adressiert wurde. Aus Neugier liest Angela den Brief, in dem eine Mutter ihrer Tochter erzählt, dass diese adoptiert wurde und ihr den Namen ihrer leiblichen Mutter nennt. Angela, selbst adoptiert, fühlt sich sofort emotional verbunden, leidet sie doch unter einem langjährigen, sehr belastenden unerfüllten Kinderwunsch und beschließt, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Adressatin des Briefs ausfindig zu machen. Im Toronto der 1960er kommt die junge und schwangere Evelyn Taylor im wider Willen im Sankt-Agnes Heim für ledige Mütter an. Sie ist dort, weil sie als schwangere, unverheiratete Frau Schande über ihre Familie gebracht hat. Sie ist dort, um ihr Kind vor aller Augen versteckt zur Welt zu bringen und es anschließend zur Adoption freizugeben. Ob sie das möchte, ist keine Frage. Traumatisiert von den dortigen Erlebnissen widmet sie ihr Leben den Selbstbestimmungsrechten von Frauen, möchte ihnen die Chance geben, dir ihr damals selbst verwehrt wurde. Erst auf eigene Faust, dann als Teil des Abtreibungsnetzwerks »Jane« führt Evelyn ab den 1970ern bis zur Legalisierung 1988 unzählige illegale Abtreibungen durch, immer mit dem Wissen, das Richtige zu tun und doch mit der ständigen Angst, ins Gefängnis zu kommen. Anfang der 1980er die Studentin Nancy eine emotional herausfordernde Zeit und findet ihren Weg zu den Janes, verspürt den Wunsch zu helfen, immer die Erinnerung an die Nacht im Hinterkopf, in der sie ihre Cousine zu einer Hinterhofabtreibung begleitete, durchgeführt von einem Stümper, die ihr fast das Leben kostete. Durch die Jahre hinweg begleiten wir diese drei mutigen, starken Frauen auf ihrem Weg, tauchen tief ein in ihre Gedanken- und Gefühlswelt, hoffen, bangen, leiden wir mit ihnen.

»Was zählt schon ein Kind, das ihr fortgebt, angesichts der Kinder, die ihr noch bekommen könnt?«

»Frag nach Jane« war ein emotional sehr herausforderndes, gefühlvolles, furchtbar grausames und unfassbar wichtiges Leseerlebnis. Ich fühlte und fühle mich verbunden mit jeder der Frauen. Es ist nicht das erste Buch, das ich gelesen habe, das die grauenhafte Situation von sogenannten Mütterheimen in der Nachkriegszeit thematisiert. Doch das macht es keinesfalls besser, im Gegenteil. Egal, ob in Europa oder Nordamerika, diese Heime existierten bis in die 1980er Jahre hinein. Oft unter kirchlicher Schirmherrschaft zwang man Frauen dort dazu, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Die wenigsten dieser Einrichtungen waren freundliche Orte, in den meisten dominierten physischer, psychischer, emotionaler und sexueller Missbrauch den Lebensalltag der »Insassinnen«. An diesen Orten wurden Leben zerstört, Familien auseinandergerissen, sind Traumata entstanden, die ein Leben lang anhielten. Gleichzeitig war dies eine Zeit, in der man Frauen den Zugang zu Empfängnisverhütung, Vorsorge und Schwangerschaftsabbrüchen nahezu unmöglich machte. Eine Zeit, in der man (schwangere) Frauen zu Objekten degradierte, ihnen die Kontrolle und das Recht über ihren eigenen Körper absprach, in der es keine Rolle spielte, auf welchem Weg das Kind zustande kam. Eine Zeit, die viele Leben geopfert hat, in vielfältigem Sinne: Frauen, die bei unsicheren Hinterhofabtreibungen oder verzweifelten eigenen Abtreibungsversuchen starben. Frauen, die wider Willen in die Mutterschaft gezwungen wurden. Umso wichtiger die Arbeit von mutigen starken Frauen, Männern und Ärzt*innen, die für Frauen- und Reproduktionsrechte eingetreten sind, gekämpft haben bis zur Entkriminalisierung der Abtreibung. Umso wichtiger die Arbeit von mutigen Menschen, die ungeachtet der eigenen persönlichen Gefahr ihr medizinisches Wissen und ihr Netzwerk dazu genutzt haben, Frauen eine Wahl zu ermöglichen. Es ist so wichtig. 

»Sind Kinderwunschkliniken und Abtreibungskliniken bei näherer Betrachtung nicht einfach nur zwei Seiten derselben Medaille?«

Auf eine differenzierte, einfühlsame Weise betrachtet »Frag nach Jane« jedoch auch die Kehrseite der Medaille: Frauen, die sich sehnlichst Wünschen, schwanger zu werden, und denen die eigene Biologie einen schmerzhaften Strich durch die Rechnung macht. Anhand von Angela erfahren wir Lesenden den Schmerz einer Frau, die alles Geld, alle Kraft, alle Hoffnung, die sie hat, in den nächsten und wieder nächsten Versuch investiert, an dem letzten Hoffnungsschimmer festhaltend, doch noch Mutter werden zu können. Zwei Seiten einer Münze, beide grausam auf ihre Art.

Ich könnte Satz um Satz und Satz schreiben, auf Handlungen, Momente, Wortwechsel, Gefühle eingehen, aber ich lasse es. Denn ich will, dass ihr »Frag nach Jane« selbst lest. Ich will, dass so viele Menschen wie möglich dieses unfassbar wichtige Buch lesen. Denn es erzählt von Mutterschaft, von weiblichem Zusammenhalt, von der Liebe einer Mutter und von der niederschmetternden Hoffnungslosigkeit fehlender Wahlmöglichkeiten. Zu sagen, dass mich »Frag nach Jane« emotional berührt hat, wäre eine grenzenlose Untertreibung. Es lässt mich nicht mehr los. Ich habe oft beim Lesen daran gedacht, in was für einer privilegierten Situation ich mich selbst befinde. Ich habe Zugang zu Verhütungsmitteln, zu Vorsorge und zu Anlaufstellen, sollte ich je in die Situation kommen, mich für oder gegen ein Kind entscheiden zu müssen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Es erfüllt mich mit grenzenloser Wut, Trauer und Verzweiflung, dass dieses elementare Grundrecht, eine eigenständige Entscheidung darüber, was mit dem eigenen Körper passiert, nach wie vor so vielen Frauen an so vielen Orten auf der Welt aberkannt wird. Dass es ihnen wie in den USA wieder aberkannt wird. Solange der Körper einer Frau Austragungsort politischer, menschenverachtender und misogyner Handlungen und Diskussionen ist, solange müssen wir wütend sein und kämpfen. Dieser Roman und seine Inhalte sind historisch, aktuell, politisch, emotional, unendlich groß und ja, einfach wichtig. Mit den Worten der Autorin: » ›Frag nach Jane‹ ist ein Buch über Mutterschaft. Über den Wunsch, Mutter zu sein, und den Wunsch, keine Mutter zu sein, und über alle Graubereiche dazwischen.«

Bedarf nach Abtreibungen wird es immer geben und damit auch die Notwendigkeit einer sicheren, selbst bestimmten Wahlmöglichkeit. Lest dieses Buch! 

»Jedes Kind ein Wunschkind. Jede Mutter freiwillig Mutter.« 




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Frag nach Jane
Autor*in: Heather Marshall
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Längsfeld
Verlag: Arche
Hardcover | 432 Seiten | ISBN: 978-3-7160-0000-7

Kommentare