Rezension zu »Die Bücherjägerin« von Elisabeth Beer

»Es ist okay, sich eine Weile in Büchern zu verstecken, wenn dir die Welt zu viel wird, meine Kleine. Dafür sind Bücher da.«

Nach dem Tod ihrer Tante und wichtigster Bezugsperson Amalia ist Sarahs Leben aus den Fugen geraten. Jetzt lebt sie allein in dem alten Anwesen, umgeben von einem verwilderten Garten. Sarah ist und war schon immer etwas anders als die meisten Menschen: gerne für sich, unbeholfen in zwischenmenschlicher Kommunikation und selten in der Lage, die Gefühle anderer richtig zu erkennen und einzuordnen. Amalia war die Einzige, bei der sie sie selbst sein konnte, die sie verstanden hat. Jetzt, nach Amalias Tod, wird ihr bewusst, dass sie allein ist, ja vielleicht manchmal auch einsam. Nur die beiden Schildkröten Bonnie und Clyde leisten ihr Gesellschaft, mit ihrer Schwester hat sie kaum Kontakt. Und Mengen über Mengen an Büchern. Denn Sarah und ihre Tante waren Antiquitätenhändlerinnen und Restauratorinnen, immer auf der Jagd nach seltenen Büchern und Landkarten, die sie restaurieren und an Sammler*innen verkaufen konnten. Doch die Geschäfte liefen schlecht in der letzten Zeit, weswegen sich Sarah nach Amalias Tod nicht nur mit ihrer Trauer, sondern auch mit dem gewaltigen Berg an Schulden befassen muss, den die Übernahme des Geschäfts mit sich zieht. Erneut gerät Sarahs Versuch eines Alltags aus den Fugen als der junge, attraktive britische Bibliothekar Benjamin vor Sarahs Tür steht. Seine Bitte ist so verführerisch wie unglaublich für eine Bücherjägerin wie Sarah: Sie soll ihm helfen, den längst verloren geglaubten Teil der Tabula Peutingeriana, einer alten römischen Straßenkarte, zu finden – ein Auftrag, den Amalia anscheinend kurz vor ihrem Tod ohne Sarahs Wissen angenommen hatte. Erst zögert Sarah, ist sie doch an Routine gewöhnt, doch die damit verbundene Lösung ihrer finanziellen Probleme als auch der Bücherjägerinnen-Teil in ihr, verleiten sie dazu, sich komplett gegen ihre Natur zu verhalten und Bens Angebot anzunehmen. So begeben sich die beiden auf eine Schatzsuche, die sie nach Frankreich und England führt, so manches tief verborgene Geheimnis aufdeckt und Sarahs Leben für immer verändern wird.

»Liebe ist das, was übrig bleibt, wenn alles andere verschwindet.«

»Die Bücherjägerin« war ein wundervoll leichtes Leseerlebnis voll von Momenten der Schönheit, Freundschaft, Familie, Liebe. Der Roman verbindet und verknüpft Geschichte und Gegenwart und zeigt, wie essenziell beides ist, wie sehr das eine vom anderen abhängt und Einfluss nimmt. Die historischen Einwürfe zur Geschichte der Tabula Peutingeriana, die Schatzsuche, die Frage danach, ob das fehlende Stück tatsächlich noch existiert und wenn ja, ob sie es finden, sind gleichzeitig zentraler (und sehr interessanter!) Handlungsstrang und doch nur Beiwerk des Lebens von Sarah: Wir als Lesende tauchen tief ein in ihre Gedankenwelt, durchleben mit ihr die wichtigsten, furchtbarsten, schönsten, einprägsamsten Momente ihrer Kindheit, Jugend und ihres Erwachsenenalters. Auf der Suche nach dem fehlenden Stück findet Sarah in erster Linie sich selbst. Verarbeitet den Tod ihrer Tante, die Schicksalsschläge ihrer Kindheit, die komplizierte Beziehung zu ihrer Schwester, ihre Defizite im sozialen Kontext, ihre Einsamkeit. Und sie lernt Ben kennen, eine weitere verwandte Seele. Wer jetzt glaubt, »Die Bücherjägerin« sei nur eine Liebesgeschichte mit Schatzsuche, der*die irrt. Ja, es ist eine Liebesgeschichte. Und so viel mehr als nur die eine: die Liebe zu sich selbst, zu anderen, zu Büchern. Aber es ist auch Realität und Jetztzeit. Auf eine nicht das Geschehen dominierende und doch relevante Art werden die Probleme unserer Gesellschaft (Rassismus, Sexismus, Gender-Fragen usw.) in die Geschehnisse und Gespräche eingebaut. Ungezwungen, unaufdringlich, so, wie sie uns allen in unserem Alltag begegnen. »Die Bücherjägerin« ist eine Geschichte über das Damals und das Jetzt und das, was Morgen vielleicht sein könnte. Und, ja: Es ist eine wundervolle, die Seele erwärmende Liebeserklärung an die Kraft und die Magie und die Schönheit von Büchern und an alle, die ihren emotionalen, historischen Wert zu schätzen wissen. 

»Ich konnte mich auf die Helden und Heldinnen in den Geschichten verlassen, ich konnte mitfiebern, ich konnte mit ihnen Abenteuer durchleben, die richtigen und falschen Entscheidungen treffen – mit ihnen an der Seite war ich nie allein, nie unverstanden.«




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Daten zum Buch
Titel: Die Bücherjägerin
Autor*in: Elisabeth Beer
Sprache: Deutsch
Verlag: DuMont
Hardcover | 432 Seiten | ISBN: 978-3-8321-6638-0

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