Rezension zu »Cleopatra und Frankenstein« von Coco Mellors

» ›Ich will absolut alles über dich wissen‹, sagte er und stellte überrascht fest, dass er es ernst meinte.«

Silvesterabend in New York. Cleo flieht von einer Party, direkt in die Arme von Frank. Es ist eine magische Begegnung, die man gut und gerne mit »Liebe auf den ersten Blick« bezeichnen könnte. Hals über Kopf verlieben sich die beiden ineinander, fühlen sich angezogen von der Andersheit ihres Gegenübers, denn unterschiedlicher könnten sie kaum sein: Cleo ist 24, Frank Mitte 40. Cleo ist die schönste Frau im Raum, zieht alle Blicke auf sich, Frank hingegen strahlt eine unaufdringliche Attraktivität aus. Cleo ist Britin, Frank Amerikaner. Cleo ist eine aufstrebende, arme Künstlerin mit Kunststipendium, Frank hat eine erfolgreiche Werbeagentur. Aber Cleo will Frank und Frank will Cleo. So wird aus einer zufälligen, doch schicksalhaften Begegnung in einer Silvesternacht schnell so viel mehr: Die beiden stürzen auf einander zu, gemeinsam in eine Beziehung, die größer ist als sie selbst. Mit der es schwer fällt, mitzuhalten. Die Opfer fordert und Freundschaften auf die Probe stellt. 

»Irgendwo wurde immer irgendwem wehgetan.«

So beginnt sie, die alles verschlingende, alles fordernde Liebe von Cleo und Frank. Ich finde ja die englische Beschreibung »falling head over heels« viel schöner und treffender als das Deutsche »sich Hals über Kopf verlieben« und im Fall von Cleo und Frank könnte es zutreffender nicht sein. Denn zu Beginn ist es doch genau das, du fällst, unkontrolliert, heftig, bedingungslos. Das ist der leichte Part. Der spaßige Part. Der Part, der unter die Haut geht, der Lust und Sehnsucht schafft und Bedenken betäubt. Was danach kommt ist die Realität. Die Kompromisse, die Zweifel, die Enttäuschungen, der Alltag und die Widersprüche. Hier beginnt »Cleopatra und Frankenstein«. Es ist die Geschichte von Cleo und Frank, die Geschichte derer, die ihnen nahestehen: Quentin, Cleos schwuler bester Freund, der zwanghaft geliebt werden möchte und eifersüchtig ist auf Frank, der ihm Cleos Aufmerksamkeit und Liebe beraubt. Anders, Franks bester Freund, der immer möchte, was andere haben. Zoe, Franks kleine Schwester, die sich unwohl fühlt mit sich selbst und es doch nie zugeben würde. Santiago, Jugendfreund von Frank und Anders, der denkt, nicht mithalten zu können. Eleanor, Franks Angestellte, die noch die verliebt war und angetan ist von Franks Freundlichkeit. Es ist die Geschichte New Yorks, einer Stadt, die nie schläft, die alle halten will und deshalb allen immer alles bietet, aber doch mehr nimmt, als sie gibt. Es ist eine Geschichte von Individuen, die umeinander kreisen, zusammen hängen und doch alleine sind. 

»Dieser ganze Blödsinn von wegen Liebe ist wie eine Droge und macht dich high – Unsinn. Sie soll dir Halt geben wie die Erde.«

»Cleopatra und Frankenstein« handelt von (Co-)Abhängigkeiten und Macht, von Liebe und Freundschaft, Sucht und Obsession. Es ist ein Exzess, ein Drogen- und ein Alkoholrausch, eine Nacht voller Farben und Licht, auf den ein Morgen mit hartem Comedown folgt. Betäubend, Betörend, und brodelnd unter der Oberfläche. Wir Lesenden beobachten Cleo, Frank und all die anderen dabei, wie sie versuchen, zu leben, zu überleben, zu sein und doch nicht. Wir sehen sie fallen, stürzen, beinah kaputt gehen. Wir sehen sie heilen, wieder aufstehen, weiter machen. Wir sehen sie lieben und leiden, lachen und weinen, sich unwiderruflich verlierend oder zum ersten Mal findend. Die Höhe- und die Tiefpunkte eines Lebens. Die Selbstzweifel, die Hoffnungen, die psychischen Krankheiten und die Sucht nach dem nächsten High. Wir sehen die Risse, die sie ausmachen. Ungeschönt, unangenehm, ehrlich. Taucht ein, findet heraus, was passiert, wenn der Vorhang fällt. Fragt euch, wie viel Liebe verlangen darf. Wo hört ihr auf und fängt der*die andere an? Seid ihr bereit, euer Selbst zu verschmelzen, wenn eine gewaltige, alles verzehrende Liebe es verlangt? Sind Cleo und Frank dazu bereit?

»Cleopatra und Frankenstein« macht süchtig. Ich habe mich Hals über Kopf in die Geschichte fallen, mich von ihr verschlingen lassen. Die Seiten entfalteten eine Sogwirkung, der ich nicht entfliehen wollte. Ich bin versunken. In Hässliches und Schönes, in Liebe und Hass, Zuneigung und Obsession, Anfänge und Enden. Jetzt, zwei Tage nachdem ich das Buch beendet habe, fühle ich es noch immer: den Abschiedsschmerz, die Sehnsucht, das Gefühl, noch nicht wieder ganz da zu sein. Denn diese Geschichte macht süchtig, ist schön und hässlich zugleich, das perfekte High und der zwangsläufige Comedown, ein Wechselspiel der Gefühle, und der Wunsch nach mehr.

»Wir zerbrechen. Und setzen uns wieder zusammen. Die Risse sind das Beste an uns. Du musst sie nicht verstecken.«

P.S.: Wer eine Triggerwarnung braucht, sollte sich vorab definitiv informieren.




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Daten zum Buch
Titel: Cleopatra und Frankenstein
Autor*in: Coco Mellors
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Lisa Kögeböhn
Verlag: Eichborn
Hardcover | 512 Seiten | ISBN: 978-3-8479-0144-0

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