Rezension zu »Nincshof« von Johanna Sebauer

 

»Die folgende Geschichte nun beginnt am ersten Tag eines noch nicht allzu lange zurückliegenden Junis. Ein Tag, an dem der Sommer noch nicht offiziell begonnen hatte, an dem sich so doch entschied, was für ein Sommer es werden würde.«  

Unscheinbar liegt es da, Nincshof, nur ein weiteres kleines Dorf unter vielen im Burgenland. Dieses spezielle Dorf, von dem die Geschichte handelt, liegt nahe an der österreich-ungarischen Grenze. Dort kennt man sich. Dort passiert selten etwas und wenn, ist es nichts, über das zu reden es sich sonderlich lohnen würde, trotzdem, wenn etwas passiert, dann weiß kurz danach das ganze Dorf Bescheid. Das Aufregendste, das seit langem passiert ist, ist der Zuzug der »Neuen«. Silvano Mezzaroni, sehr begeisterter Irrziegenhirt in seinen Anfängen, seine Frau Isa Bachgasser, eine berühmte Dokumentarfilmerin, und die gemeinsame 14-jährige Tochter. Was man von ihnen halten soll, weiß man noch nicht so recht, schließlich sind sie Fremde, aus Wien. Umso mehr überrascht es (am meisten sie selbst), als Erna Rohdiebl, Rentnerin, die – wie die meisten – ihr gesamtes Leben in Nincshof verbracht hat, in einer warmen Juninacht die – wie sich noch herausstellen wird – folgenschwere Entscheidung trifft, heimlich im neuen Swimmingpool einer Bekannten schwimmen zu gehen. Eine unerhörte Aktivität, die nicht lange im Geheimen bleibt. Denn die Oblivisten haben ihre Augen und Ohren überall. Und entscheiden, dass Erna genau die Richtige für die nächsten Schritte ihrer langjährigen Bewegung ist, schließlich trägt sie die Freiheit ein in sich und ein gewisses Talent, Grenzen zu überschreiten. So rekrutieren die Oblivisten Erna, die zwar alles andere als überzeugt ist von der Sinnhaftigkeit des Unterfangens, zeitgleich aber angezogen von der Chance auf einen Sommer voller weiterer Abenteuer, plötzlich Teil dieser Gruppierung ist. Ihr Ziel ist so simpel wie anspruchsvoll: Nincshof soll vergessen werden. Vom Burgenland, von Östtereich, ja am besten von der ganzen Welt. Zurück zu einem Ursprungszustand, weg von den Einflüssen der hektisch gewordenen Welt, weg von der Fremdbestimmung einer für sie fernen Regierung. Im Vergessen liegt die Freiheit. So werden Straßenschilder abmontiert, Einträge aus Bibliotheken entfernt und und und. Das größte Problem: die Neuen. Da wäre einmal Isa Bachgasser, die in Nincshof eigentlich ihren Ruhestand vom Filmemachen beginnen wollte, wird stattdessen magisch angezogen von den faszinierenden und überraschenden Einblicken in die doch recht ungewöhnliche Geschichte des Ortes. Und auch Silvano plant, den Tourismus des Ortes durch seine Irrziegen anzukurbeln. Eine Bedrohung, um die sich die Oblivisten dringend kümmern müssen, um ihrem Ziel des Vergessens näher zu kommen...

» ›Was ich euch sagen will, ist, dass das Vergessen einen so schlechten Ruf hat, weil der Menschen ihm diesen Ruf gegeben haben.‹ Er blickte in die Runde. ›Wir haben uns ausgedacht, dass Vergessen etwas Schlechtes und Erinnern etwas Gutes ist.‹ «  

»Nincshof« ist anders. So anders wie dieses Dorf und die Menschen, die dort leben. Anders auf eine Art, wie ich es noch nie gelesen habe. Anders auf eine Art, die einfach nur Spaß macht. Geschrieben als moderne Fabel über einen Ort, der (vielleicht) nicht existiert, arbeitet der Roman mit einer mal mehr, mal weniger unterschwelligen Komik, die mich beim Lesen Seite für Seite aufs Neue hat Schmunzeln lassen. In diesem wirklich besonderen Roman steckt viel unter der Oberfläche: Gesellschafts-, Kolonialismus- und Politikkritik, die bewegende politische Geschichte des Burgenlands, Moderne und Vergangenheit, Fragen zum Frausein, Fragen des Mit- und Gegeneinanders. Und es ist eine feine, eigenwillige Liebeserklärung ans Burgenland. Nincshof ist ein Ort, der Vergessen werden will. Ein Ort, der autonom, anti-autoritär und frei sein will von den wechselnden Befindlichkeiten der österreichischen Regierung. Denn in Nincshof regieren eigene, traditionsreiche Gesetze. Ein faszinierender Ort mit anderen Normen und Vorstellungen. Ein Ort, frei von den wechselnden Einflüssen und deskriptiven Normen der sich über die Zeiten wandelnden Gesellschaft. Ich verzichte darauf, konkrete Beispiele zu nennen, denn der Mikrokosmos »Nincshof«  soll auch euch überraschen können. Mich hat er überrascht. Ebenso wie die Charaktere, die allesamt eigenwillig und liebenswert sind und einfach tun und lassen, was sie für richtig halten. Ich hab sie alle in mein Herz geschlossen. Trotz seines provinziellen Charakters ist dieser Ort anderen überlegen. Eine kleine Oase der Freiheit. Ich habe mich gerne in »Nincshof« aufgehalten und wünsche mir, es möge existieren, irgendwo da draußen, vielleicht, vergessen von uns. Wo Irrziegen unter der Junisonne grasen, der Neusiedler See in der Ferne funkelt, die Zeit anders verläuft und alle die sein können, die sie sind. 

» ›Frau Bachgasser‹, sagte der Bibliothekar daraufhin und starrte sie mit müden Augen an, ›das ganze Burgenland samt seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ist eine einzige Merkwürdigkeit und ein einziges Rätsel. Ich wünsche Ihnen viel Glück, falls Sie vorhaben, es zu entschlüsseln.‹ «

»Nincshof« ist ein wunderbarer, unterhaltsamer und besonderer Mix aus Gegenwartsroman und modernem Märchen. Absolut lesens- und liebenswert!




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Daten zum Buch
Titel: Nincshof
Autor*in: Johanna Sebauer
Sprache: Deutsch
Verlag: DuMont
Hardcover | 368 Seiten | ISBN: 978-3-8321-6820-9

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