Rezension zu »Das Summen unter der Haut« von Stephan Lohse

»Da ist ein Körper, spiddelig, mit mittelgroßen Brustwarzen und einer manchmal zu jungen Stimme, der tut, was er will, kein bescheuertes Artefakt unter der Haut, und der deshalb eine Entscheidung trifft. Und sich verliebt.«

Es ist Sommer in Hamburg, kurz vor den Sommerferien. Wir schreiben das Jahr 1977. Julle ist vierzehn Jahre alt und weiß seit Jahren, dass er schwul ist. Ein Umstand, der zu dieser Zeit ein Problem darstellt, geoutet hat sich Julle deshalb nicht, lediglich seine Schwester weiß Beschied. Und, so vermutet Julle, auch seine Mutter (die Intuition einer Frau und Mutter darf man schließlich nicht unterschätzen). Kurz vor den Sommerferien kommt Axel in Julles Klasse. Julle kennt Axel seit 80 Stunden. Mehr als genug Zeit, um sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben. Zu Julles großer Überraschung – denn Julle empfindet sich bestenfalls als Durschnitt, wenn überhaupt, fühlt er sich doch den Großteil der Zeit unwohl in seinem sich wandelnden Körper, der feststeckt irgendwo zwischen Jungen und Mann – nimmt Axel in wahr. Die beiden werden Freunde, verbringen den Sommer im Freibad und versuchen das Rätsel um eine halb abgebrannte Hütte im Wald zu lösen, ein Geheimnis, das nur ihnen beiden gehört. Auch wenn Axel Julles romantische Gefühle nicht zu erwidern scheint, weiß er, dass nach diesem Sommer nichts mehr sein wird wie zuvor. 

»Das Summen unter der Haut« erzählt eine Geschichte genau über dieses Gefühl, das wohl jede*r kennt, der*die schon mal verliebt war. Eine Geschichte des Kribbelns und Summens und der Schmetterlinge im Bauch. Auf eine leichte und doch nachvollziehbare Art und Weise erinnert der Roman daran, wie es war und ist, 14 zu sein. Egal, ob in den 70er Jahren oder heute. Das Unwohlfühlen im eigenen Körper, der einen, wenn man glaubt, ihn endlich verstanden zu haben, doch wieder ratlos und unsicher zurück lässt. Die feinen Nuancen von Freundschaften und erster Liebe, den Diskrepanzen zwischen der Suche nach Selbstständigkeit und persönlicher Freiheit und der Vormundschaft durch Eltern. Emotional einschneidende Erlebnisse wie Krankheit, Verlust, erste Küsse und Herzensbrüche. Ein Chaos der Gefühle und ein Meer an Möglichkeiten. »Das Summen unter der Haut« ist eine unterhaltende, feinfühlige Coming-of-Age-Geschichte ebenso wie eine Coming-Out-Story über einen queeren Jugendlichen zu einer Zeit, als ein Coming Out nicht einfach war. Und doch, das finde ich sehr schön, stehen nicht die Traumata der Homophobie, die Angst und die Sorgen ob der Reaktionen seines Umfeld auf Julles sexuelle Orientierung im Vordergrund, sondern es ist eine positive, eine Mut machende, eine zum Schmunzeln bringende Geschichte voller komischer Momente und Leichtigkeit. Julle ist eine so wunderbare und liebenswerte Figur, mein Herz hat sich schnell erwärmt für ihn.  Für meinen Geschmack hätte das Ende etwas mehr Raum haben dürfen, um sich zu entfalten, mir kam es vielleicht ein bisschen zu schnell. Dennoch: »Das Summen unter der Haut« erzählt von einem Sommer voller Veränderungen, von Neuanfängen und Abschieden, von los lassen und zu sich finden – mit Tiefe und doch so leicht wie ein Sommerwind. Ein schönes Sommerbuch!




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Daten zum Buch
Titel: Das Summen unter der Haut
Autor*in: Stephan Lohse
Sprache: Deutsch
Verlag: Insel Verlag
Hardcover | 176 Seiten | ISBN: 978-3-458-64389-0

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