Rezension zu »Und dann verschwand die Zeit« von Jessie Greengrass

Als die Auswirkungen und Folgen der Klimakatastrophe sich häufen, in immer schlimmerem, verheerenderem Ausmaß auftreten, beschließt die Klimaaktivistin und -forscherin Francesca, ihren kleinen Sohn Pauly und ihre jugendliche Stieftochter Caro zu retten. Fernab der Großstadt Londons schafft sie im nach ihren Vorgaben umgebauten Sommerhaus High House eine hoffentlich rettende Zuflucht für ihre Kinder. Schafft eine Zukunft für ihre Kinder, von der sie weiß, dass weder sie noch der Vater der Kinder ein Teil davon sein werden. Als Caro und Pauly in High House eintreffen, ist der Ort bereits bewohnt: Der von Francesca eingestellte Verwalter Grandy und seine Enkelin Sally erwarten die beiden. Mit der Zeit lernen die vier, miteinander zu leben. Doch die Zeiten sind hart und werden härter. Die Winter sind lang, kalt und das Essen immer knapp. Eine Naturkatastrophe folgt der anderen, Arten sterben aus, Menschen flüchten in Scharen. Wie lange können die vier in High House überleben, sicher sein?

»Und dann verschwand die Zeit« war ein bedrückender, schwermütiger Roman mit viel Gewicht. Er malt ein unheilvolles, düsteres und auswegloses Bild einer baldigen möglichen Zukunft, in der eine Umweltkatastrophe die nächste jagt, die Klimakatastrophe ganze Städte auslöscht, unbewohnbar macht und das Leben, so wie wir es kannten, für immer und grundlegend verändern wird. Der Roman erzählt von einem Kampf ums Überleben, von Urängsten und Hoffnungslosigkeit. Und doch, solange es Menschen gibt, ist es auch eine Geschichte des Miteinanders, von Liebe und Familie. Zwei zusammengewürfelte Teile zweier zerstörter Familien, die zusammen versuchen, nicht nur zu überleben, sondern zu leben. Die versuchen, neue Familienbande zu knüpfen und verlorene aufzuarbeiten. Besonders Caro leidet unter der Abwesenheit von Vater und Stiefmutter, die einen Großteil ihres Lebens eingenommen hat. Doch je mehr Caro lernen muss, in dieser neuen Welt zurecht zu kommen und Ersatzmutter zu sein für Pauly, desto mehr versteht sie diese Zwickmühle aus elterlicher Liebe und Aufopferung auf der einen und gesellschaftlicher Verantwortung auf der anderen Seite, die das Leben ihrer Eltern geprägt hat. Denn was, wenn wir uns entscheiden müssten: Wollen wir gute Eltern sein, die immer für ihre Kinder da sind, egal zu welchem Preis? Oder folgen wir einer anderen, ebenso wichtigen Bestimmung und versuchen, diese Welt zu retten, solange es noch etwas zu retten gibt, wenn auch zulasten der Gegenwart aber für die Zukunft unserer Kinder?  

»Und dann verschwand die Zeit« zeigt eine mögliche Zukunft auf, eine, in der die Zeit davon gelaufen, verschwunden ist. In der es zu spät ist. Es ist Warnung, Erinnerung und Mahnmal zugleich. »Und dann verschwand die Zeit« zeigt, was auf dem Spiel steht, für alle von uns. Ich habe den Roman als sehr bedrückend empfunden, aber genau das will und muss er sein. Leider habe ich nicht recht Zugang zu den Figuren gefunden, sie blieben immer eine gefühlte Armlänge entfernt und ich weiß einfach nicht, warum. Das soll diesem eindringlichen, wichtigen Roman aber keinen Abbruch tun, denn die Themen, die er behandelt, könnten aktueller und beunruhigender nicht sein. Dieses Buch ist wichtig und sollte gelesen werden, ob ich nun eine Verbindung zu den Figuren aufbauen konnte oder nicht.




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Daten zum Buch
Titel: Und dann verschwand die Zeit
Autor*in: Jessie Greengrass
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea O'Brien
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Hardcover | 288 Seiten | ISBN: 978-3-462-00196-9
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