Rezension zu »Nur eine weitere Geschichte« von Jacqueline Maley

»Manchmal hatte ich das schwindelerregende Gefühl, dass ich mich der Unsichtbarkeitszone näherte, von der die Frauen mittleren Alters sprachen, und für mich fühlte es sich eher an wie eine Fallgrube. Schöne Frauen hatten eine unnatürliche Angst vor dieser Fallgrube, hatte ich bemerkt, als hätten sie auf Kredit gelebt und man würde jetzt die Rückzahlung ihrer Schulden verlangen.«

Suzy Hamilton ist Ende ihrer 30er, Journalistin und alleinerziehende Mutter einer kleinen, liebenswerten Tochter. Seit ihr Partner sie nach einem Streit Hals über Kopf verlassen und mit der kleinen Tochter alleingelassen hatte, ist in ihrem Leben irgendwie der Pause-Knopf gedrückt. Obwohl sie noch nicht einmal weiß, wo er sich befindet, er seit Jahren keinen Kontakt zu ihr oder der gemeinsamen Tochter hatte, wartet ein Teil von Suzy doch darauf, dass er wieder kommt. Abgesehen von ihrem Onkel, in dessen Haus Mutter und Tochter leben, und ihrem besten Freund lässt Suzy keine emotionale Nähe zu. Für körperliche Nähe hat Suzy Affären mit einem aufstrebenden Künstler am Anfang seiner 30er sowie mit einem verheirateten Mann. Erfüllung findet Suzy in der Beziehung zu ihrer Tochter und vor allem auch in ihrem Beruf als Journalistin. Hier weiß sie, was sie tut, ist Herrin der Lage, kompetent und zielstrebig. Der Job ist ihr sicherer Hafen. Bis sie eines Morgens erfährt, dass sich die Wellness-Bloggerin Tracey Doran, am Abend nachdem Suzys Enthüllungsgeschichte über Tracey veröffentlicht wurde, umgebracht hat. Suzy ist erschüttert und wird das Gefühl nicht los, Schuld auf sich geladen zu haben. Anstatt sich diesen Gefühlen zu stellen, verdrängt Suzy, findet Ablenkung in ihrer Arbeit, ihrer Mutterrolle, ihren Affären. Ein fragiles Gerüst, das einbricht, als Suzy ein Jahr nach den Ereignissen plötzlich anonyme Drohbriefe bekommt und wiederholt von Traceys Mutter aufgesucht und kontaktiert wird. So lange, bis Suzy deren Wunsch entspricht, eine weitere Geschichte zu schreiben. Die wahre Geschichte von Tracey Doran. 

»Nicht zum ersten Mal überlegte ich, dass die Leute zwar Alleinerziehenden immer sagen: Ich weiß nicht, wie du das machst, aber dann doch fast nie die Details hören wollen, wie man so etwas tatsächlich machte.«

»Nur eine weitere Geschichte« ist genau das: nur eine weitere Geschichte. Aus dem Leben nur einer weiteren Frau. Es ist weiblicher Text. Unaufgeregt, ohne Beschönigung, ehrlich, alltäglich und besonders erzählt der Roman aus und vom Leben einer Frau, einer Mutter, einer Liebenden, einer Person mit Höhen und Tiefen, mit Herausforderungen, Schwierigkeiten. Und wie das Leben so ist, so ist auch die Geschichte von Suzy eine Geschichte vieler Personen, vieler Momente. Suzy ist eine Frau. Eine Frau, die arbeitet. Eine Frau, die Mutter ist. Eine Frau, die liebt, verletzt wird, verletzt, fühlt und Angst hat zu fühlen. 

Ich habe inzwischen eine absolute Schwäche für alltägliche Geschichten über Frauen jeden Alters. Für mich braucht ein Roman keine große Handlung, um mich mitzureißen. Mir reicht und ich möchte genau was, was mir auch »Nur eine weitere Geschichte« gegeben hat: etwas Echtes. Obwohl der zentrale Handlungsstrang des Romans die Nachwirkungen des Selbstmords von Tracey Doran sind, ist es doch nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche ist dieser Roman ein Einblick in das Innenleben einer Frau. Ihre täglichen Gedanken und Sorgen, vor allem in Bezug auf ihre Mutterrolle: Bin ich als Mutter gut genug? Kann ich in beruflichen Belangen meinen Träumen folgen oder soll ich auf Nummer sicher gehen, damit mein Kind garantiert alles hat, was es braucht? Wie viel persönliche Freiheit erlaube ich mir? Lasse ich nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Nähe zu einem anderen Menschen zu, obwohl mir mein Herz gebrochen wurde? Was will ich vom Leben? Wie kann ich die Dinge wieder gut machen, die ich wissentlich und unwissentlich in den Leben anderer angerichtet habe? »Nur eine weitere Geschichte« ist nur eine weitere Geschichte über Lebensentscheidungen, finanziellen Sorgen, Überforderung, Beziehungen und weiblichen Mut. Die Autorin hat mit Suzy eine beeindruckende, nahbare, und in ihren Handlungen, Gefühlen und Reaktionen so reale Figur erschaffen, mit der ich mich auf so vielen Ebenen identifizieren konnte. Und ich bin mir sicher, dass es euch auch so ergehen wird, wenn ihr diesem wundervollen Buch eine Chance gebt. Diese Welt braucht so viel mehr Geschichten wie diese, die Mutterschaft und Frausein, weibliche Lust, das Leben, Älterwerden, Erwachsensein und persönliche Grenzen nicht verherrlichen, sondern ehrlich, reflektiert und ohne Umschweife erzählen. Und die uns daran erinnern, dass jede Geschichte mehrere Seiten hat und dass nur wir es sind, die unsere ganz eigene Geschichte schreiben und leben können. 

»Das Leben war ebenso unsicher wie zerbrechlich. Ich dachte mir, dass die einzige Art, die Dinge etwas zuverlässiger zu machen, darin bestand, den Boden unter sich tragfähig zu machen, nach dem Leben zu greifen, die Hand danach auszustrecken, darauf zuzurennen.«




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Daten zum Buch
Titel: Nur eine weitere Geschichte
Autor*in: Jacqueline Maley
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Wibke Kuhn
Verlag: Ecco
Hardcover | 496 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0078-7

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