Rezension zu »Wir sind dieser Staub« von Elizabeth Wetmore

»Warum spielen die Mädchen in Odessa nie Verstecken? Weil keiner sie suchen würde.«

Odessa, Texas im Jahr 1976. Der nächste Ölboom steht kurz bevor und damit auch die Chance auf Wohlstand in der sonst kargen Weite von Westtexas, die wirkt wie ausgestorben. Eine Zeit, in der die Erfüllung des American Dream zum Greifen nahe wirkt. Eine Zeit, die flüchtig ist, denn niemand weiß, wie lange der Ölboom anhalten und es Arbeitsplätze geben wird. Während sich die Männer Odessas auf den kommenden Wohlstand freuen, leben die Frauen in Erwartung der Gewalt, die immer auch ein Teil des Lebens in Odessa zu sein scheint. So steht die 14-jährige Gloria Ramírez eines Morgens mehr tot als lebendig nach einer Vergewaltigung auf der Veranda von Mary Whiteheads Ranch. Obwohl selbst Mutter und hochschwanger, hilft Mary dem Mädchen, ruft den Sheriff und ist bereit, gegen den Täter auszusagen. Mit gravierenden Folgen für ihr eigenes Leben. Denn Gloria ist mexikanischer Herkunft und Rassismus wie Misogynie sind tief verwurzelt in der Einöde Odessas. Doch es scheint sich etwas zu verändern, in den Herzen der Frauen, die in dieser Gegend leben, die aus Armut, Verzicht und Gewalt besteht. Denn sie beschließen, zusammen zu halten. Wohl wissend um die Konsequenzen. 

»Die Mutterschaft hat sie alles Mögliche gelehrt: dass sie mit viel weniger Schlaf auskommt als gedacht. Dass sie nach der Arbeit nicht besonders lange braucht, um runterzukommen, da reicht ein kleiner Umweg durch die Wüste, wo sie sich die Sterne ansieht. Dass man einen anderen Menschen von Herzen lieben und sich trotzdem wünschen kann, er wäre nicht da.«

Am Anfang habe ich nicht gleich Zugang gefunden zum Buch, musste mich erst gewöhnen an die Rauheit des Tons, der passender nicht sein könnte in Anbetracht der Rauheit von Landschaft und Menschen. Die Frauen sind Kämpferinnen, denn es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Sie passen sich an, sie leiden stumm, sie machen weiter. Kümmern sich um Haus, Hof, Kinder, Tiere, Männer. Sie geben arbeiten und sie gebären. Sie verlieren und sie stehen auf. Sie sind stark, weil sie stark sein müssen in dieser Gegend, in der Schwäche den Tod bedeutet. »Wir sind dieser Staub« ist wirklich schwer in Worte zu fassen, im Roman steckt eine Vielschichtigkeit, die man für sich selbst entdecken muss. »Wir sind dieser Staub« besteht aus verschiedenen fast schon Kurzgeschichten von den Frauen und Mädchen Odessas, die am Ende diese Geschichte ergeben. Jede ist unterschiedlich, sind doch auch die Frauen und Mädchen, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, verschieden. Mal steht die Gewalt im Vordergrund, mal die kindliche Naivität, mal die Herausforderungen des Mutterseins, mal das Auf und Ab einer Ehe. Das Scheitern und Loslassen, Neuanfänge und zweite Chancen. Als Leser*in erhält man tiefschürfende, eindringliche Einblicke in diese Gegend, die von patriarchalen, rassistischen, sexistischen Grundfesten aufrechterhalten wird. Der Roman zeigt die Grenzen auf, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sozialen Schicht, ihrer Ethnie und Herkunft aufgezwungen werden. Es ist ein Leben, das durch Zwang, Unterdrückung, Gewalt und Grausamkeit beherrscht wird. Es ist ein Leben, das weh tut. Es ist Aussichtslosigkeit und Leid. Und gleichzeitig ist es Hoffnung. Denn sie alle verbindet eins: weiblicher Mut, weibliche Stärke. Der Wunsch, auf ein besseres, anderes Leben. 

»Und wie sterben die Frauen? Normalerweise, wenn Männer sie umbringen.«

»Wir sind dieser Staub« wirkt auf einer emotionalen Ebene, ist melancholisch und so beklemmend und düster wie die Landschaft Odessas. Der Roman geht unter die Haut und ist gewaltig. Lest diesen faszinierenden, einzigartigen Roman, lasst ihn auf euch wirken, euch mitnehmen in die Rauheit von Mensch und Natur.




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Daten zum Buch
Titel: Wir sind dieser Staub
Autor*in: Elizabeth Wetmore
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné
Verlag: Eichborn
Hardcover | 319 Seiten | ISBN: 978-3-8479-0092-4

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