Rezension zu »Milch Blut Hitze« von Dantiel W. Moniz

»[U]nd ihr fiel auf, dass in allen Genres, ob es nun Romane oder Biografien waren, der rasende Zorn der Männer die Seiten färbte und Lügen wie weiße Samen in die Herzen der Menschen pflanzte.«

Eine 13-Jährige, die wissen will, wie sich der Tod anfühlt. Eine Frau, die nach einer Fehlgeburt nicht über den Verlust ihres ungeborenen Kindes hinwegkommt und in einem Zustand bewegungsunfähiger Trauer verharrt. Eine Teenagerin, die sich auflehnt gegen den religiösen Glauben und die darin überlieferte Misogynie, die stattdessen durch Wissen lernt und die Kraft des Frauseins findet und dafür bestraft wird von der Umgebung, in der sie lebt. Ein Mann mittleren Alters, der den baldigen Tod seiner Frau im Gegensatz zu ihr nicht akzeptieren möchte, der festhält an seinem erlernten, überholten Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit und mit den Konsequenzen leben muss. Eine Mutter, die zu spät erkennt, dass sie ihren Mann nicht mehr liebt und damit kämpft, die Bindung zu ihrer 17-jährigen Tochter verloren zu haben, die wiederum geprägt ist von der zu früh in ihrem Leben erlebten Sexualität. Ein 9-jähriges Mädchen, das in einer lebensbedrohlichen Situation zum ersten Mal nur an sich denkt und eine Lektion über die Graustufen von Gut und Böse lernt. Eine 23-jährige, verheiratete Barkeeperin in mit Eheproblemen. Eine Frau Ende ihrer Zwanziger, mit einem liebendem Ehemann, und einem gutem Job, die schwanger ist und nicht weiß, ob sie das Kind bekommen möchte. Eine Schwester und ein Bruder, die sich auseinander gelebt haben und sich aufmachen auf eine Reise, um die Asche ihres Vaters zu verstreuen, währenddessen sich beide ganz unterschiedlich an ihre Kindheit erinnern. Eine Gruppe Kellner*innen, die dafür bezahlt wird einer reichen Elite verbotene Tiere zu kredenzen und ihre Schuldgefühle mit dem Bedarf an Geld verdrängt. Ein junges Mädchen, das ohne Mutter bei der Großmutter aufwächst, weil die Mutter nur ab und an vorbei schaut und ihr Leben damit verbringt, ihrem wilden, freien Geist zu folgen. 

»Licht kann nicht anders, als zu erhellen; genau wie so viele andere kann sie nicht vergessen, was ihr einmal klar geworden ist.«

»Milch Blut Hitze« erzählt elf Kurzgeschichten von Leben so vieler Menschen – hauptsächlich von farbigen Frauen. Sie alle spielen in Florida, sind umgeben von Hitze und Sonnenschein und werfen doch einen Blick auf die Schattenseiten, auf eine Gruppe Menschen, die in Geschichte und Gesellschaft so gerne übersehen werden. »Milch Blut Hitze« ist ein wirkliches starkes Debüt und hat mir gezeigt, dass ich mich in Zukunft öfter an Kurzgeschichten wagen sollte. Kaum eine der Geschichten ist länger als 20 Seiten und doch wird in jeder einzelnen so viel erzählt. Wie es auch bei Büchern der Fall ist, konnte mich nicht jede der Kurzgeschichten gleichermaßen begeistern. Doch waren sie alle gut, lesenswert und voller Gehalt. Und manche von ihnen gingen mir unter die Haut.

»Könnte es eines Tages auch ihr passieren, dass ein Mann sie kleiner machte, als sie war?«

»Milch Blut Hitze« behandelt für mich zwei Hauptthemen: Frausein und Mutterschaft. Einerseits erzählen die Geschichten von Sexualität und Begehren, Verführung, Leidenschaft. Andererseits warnen sie vor der Gefahr, die mit der viel zu früh eintretenden Sexualisierung von farbigen Mädchen einhergeht. 

»Mütter müssten auf irgendeine Weise für all das bestraft werden, was sie ihren Töchtern antun.« 

Gleichzeitig stehen die Frauen dieser Geschichten so sehr im Fokus, ihr Female-Gaze, ihre Wünsche, Ängste, Hoffnungen. Ihre Beziehungen zueinander. Besonders in Hinblick auf Mutter-Tochter-Beziehungen, ihre Tücken, Chancen, Höhe- und Tiefpunkte. Es ist eine notwendige Erinnerung daran, dass es nicht das eine Bild davon geben darf, wie eine Mutter zu sein hat, sondern dass Muttersein viele Formen annehmen kann. Dass nicht jede Frau dazu bestimmt ist, Mutter zu sein, dass sie die Wahl hat. Dass nicht jede Frau automatisch zur Mutter wird, wenn sie ein Kind bekommt. Dass jede*r für sich selbst definieren muss, was eine gute Mutter ausmacht – auch wenn das bedeutet, jemand anderem den Vortritt bei der Erziehung zu geben. Darüber hinausgehend ist »Milch Blut Hitze« eine Geschichte über weiblichen Zusammenhalt, über all die Formen des Miteinanders. 

Elf einzelne Geschichten, die am Ende ein großes Bild ergeben: Das einer Menschheit, die liebt und lernt, vergisst, erinnert und verdrängt. Es ist ein Einblick in das Leben farbiger Frauen aus den verschiedensten Generationen und Lebensumständen. Es erzählt von Liebe und Leben und Leid und Alltag. Einige davon werde ich mit Sicherheit wieder lesen. In ihrer Gesamtheit wie für sich alleine stehend ergeben diese Geschichten ein Buch, das man lesen sollte.




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Daten zum Buch
Titel: Milch Blut Hitze
Autor*in: Dantiel W. Moniz
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Arlinghaus und Anke Caroline Burger
Verlag: C.H. Beck
Hardcover | 230 Seiten | ISBN: 978-3-406-78157-5

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