Rezension zu »Morgen, morgen und wieder morgen« von Gabrielle Zevin

 

» Was ist ein Spiel? fragte Marx. Es ist morgen, morgen und wieder morgen. Die Möglichkeit einer unendlichen Wiedergeburt und unendlichen Erlösung. Die Vorstellung, dass du, solange du weiterspielst, gewinnen kannst. Kein Verlust ist von Dauer, nichts ist von Dauer, niemals.‹ « 

1995 in einer U-Bahn-Station in Boston. Sam Masur hat gerade sein Mathematik-Studium in Harvard begonnen. Noch fühlt er sich etwas in fremd in der neuen Stadt, die so viel kälter ist als seine Heimat Los Angeles. Manchmal schlägt das Schicksal zu. Denn in der Menge der vollen U-Bahn sieht er sie, Sadie Green. Seine beste, einzige Kindheitsfreundin. Seine Super-Mario- und sonstige Computerspiel-Partnerin. Sadie, die in der schlimmsten Phase seines Lebens für ihn da war. Sadie, die er seit dem Bruch nur noch selten gesehen, aber nicht mehr mit ihr geredet hat. Wie stehen die Chancen, dass sich diese beiden Menschen aus dem sonnigen Kalifornien an einem kalten Wintertag in Massachusetts wieder begegnen? Sam fasst seinen Mut zusammen, spricht sie an. Und Sadie, die wie Sam in den letzten Jahren immer wieder an ihre gemeinsame Freundschaft gedacht hat, freut sich und freut sich zugleich nicht über dieses unverhoffte Wiedersehen. Sadie studiert inzwischen Computerspiel-Design am M.I.T. und in alter Gewohnheit, aus einer tiefen Verbundenheit heraus, gibt sie Sam eine Diskette, darauf ein von ihr für das Studium programmiertes Spiel. Nach wie vor verrückt nach Videospielen spielt es Sam zusammen mit seinem Mitbewohner Marx, der zu einem der wichtigsten Menschen in Sams Leben werden wird, doch noch kennen sie sich kaum. Beide sind begeistert von Sadies Spiel. Für Sam, der zwar Begabung, aber keine Begeisterung für die Mathematik aufbringen kann, ist klar: Das ist was er will. Wieder mit Sadie spielen. Mit Sadie ein Spiel entwickeln und programmieren. In einem der wenigen mutigen Momente seinen Lebens ist Sam beharrlich, bis Sadie in seinen Vorschlag einwilligt. Unbewusst und leise beginnt die alte Freundschaft, erneut zu sprießen. Zusammen verfolgen sie ihre Vision eines Videospiels, unterstützt von Marx. Die Drei werden ein eingeschweißtes Team. Doch als ihr erstes gemeinsames Spiel quasi über Nacht der Überraschungserfolg der Gaming-Szene wird, drohen entstehende Rivalitäten, alte Unstimmigkeiten und das Leben in die Quere zu kommen. 

Normalerweise würde ich jetzt Absatz um Absatz schreiben. Und ich will es auch. Aber ich will euch gleichzeitig nichts vorweg nehmen, euch nicht der Magie dieses wunderbaren Romans berauben, der sich in euer Herz schleichen und euch mit Tränen in den Augen zurück lassen wird. Wirklich. Auch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, Tage, nachdem ich das Buch beendet habe, kommen sie die Tränen. Die Geschichte um Sadie, Sam und Marx hat mich einfach berührt. Auf eine Art und Weise, die ich nicht für möglich gehalten habe. »Morgen, morgen und wieder morgen« ist mit Abstand der vielschichtigste, komplexeste und gleichzeitig lebensnaheste Roman, den ich seit langer Zeit gelesen habe. Vielleicht auch jemals. Er umfasst Jahrzehnte, verleiht durch Vor- und Rückblenden Kontur. Er erweckt die Figuren zum Leben, formt Sadie, Sam und Marx zu Personen mit einem tiefen seelischen Innenleben – besonders Sadie und Sam, aus deren Perspektive das Geschehen in auktorialer Form abwechselnd geschildert wird. Man fühlt mit ihnen, durchlebt mit ihnen, versteht sie und dann wieder nicht. Sie treffen Entscheidungen, die man nicht nachvollziehen kann. Sie sind mal mehr, mal weniger sympathisch. Sie sind menschlich. Man begleitet sie, von Kindheit an bis ins Erwachsenenalter. Man stolpert mit ihnen, steht wieder auf. Man trifft die richtigen Entscheidungen aus den falschen Gründen. Sieht ihnen dabei zu, wie Beziehungen entstehen, sich wandeln, vergehen. Man fühlt. Man fühlt so sehr. 

»Man muss sich klarmachen, dass eine Beziehung aus Abschnitten besteht, und wenn einer endet, kann die Beziehung als etwas anderes weiterbestehen. Die Liebe ist Konstante und Variable zugleich.«

»Morgen, morgen und wieder morgen« ist Erinnerung, Nostalgie. Ich bin 1995 geboren, das Jahr, in dem sich Sadie und Sam wieder treffen. Ich bin aufgewachsen mit »Commander Keen« und »Donkey Kong«, nutze heute alte Disketten als Untersetzer. »Morgen, morgen und wieder morgen« ist eine gewaltige, eindringliche Geschichte über das Leben. Über die Magie von Freundschaft und Beziehungen in jeder Form. Über Erfolg und Niederlage. Über zweite, dritte, vierte Chancen. Über das Aufgeben und das wieder Aufstehen. Über Liebe, Trauer, Freude, Schmerz, Tod, Krankheit, Verlust, Leidenschaft. Über Veränderungen, Neuanfänge, Rückschritte. Es ist ein Zeitzeugnis von Popkultur, vom Wandel der Zeiten, von universellen, alle Zeiten überdauernden Wahrheiten. Doch vor allem ist »Morgen, morgen und wieder morgen« eines: Ein endloses Spiel, ein sich wiederholender Kreislauf. Sadie und Sam: Zwei Magnete, die sich für alle Zeit ab- und anziehen werden. Sie kreisen umeinander, sie brauchen einander. Ob sie wollen oder nicht. Das Spiel geht weiter. Reset, Neustart. Lest es!




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Daten zum Buch
Titel: Morgen, morgen und wieder morgen
Autor*in: Gabrielle Zevin
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Sonia Bonné
Verlag: Eichborn
Hardcover | 560 Seiten | ISBN: 978-3-8479-0129-7

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