Rezension zu »Die Sekretärinnen« von Elin Wägner

»Das Büroleben ist ein wollüstiges, langsam tötendes Gift. Du wirst sicher zufrieden sein mit deiner Welt. Nur in deinen besseren Momenten wirst du spüren, dass Mädchen nicht in ein Büro gehören, sondern verheiratet sein sollten, mit Kindern, mit denen sie auf den Wiesen um die Wette laufen, und dazu Küche und Webstuhl und auf keinen Fall Kultur!«

Stockholm, Anfang des 20. Jahrhunderts. Elisabeth, Eva, Baby und Emmy sind vier Frauen, die zusammen in einer Wohngemeinschaft in der Großstadt leben. Eigenständig, ohne Männer. Ihre jeweiligen Gehälter reichen kaum für die nötigsten Lebensmittel und Elisabeth hat nicht nur sich selbst, sondern auch ihren kleinen Bruder zu versorgen, dem sie regelmäßig Geld ins Internat schickt. Die Arbeitsbedingungen sind fürchterlich – körperliche und seelische Überbelastung, Arbeiten bis zum Umfallen, ein lächerlich geringer Lohn, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und vor allem auch das  Unverständnis und die Ablehnung durch die männlichen Kollegen belasten die jungen Frauen. Immer wieder wird ihnen nahe gelegt, sich doch einen Ehemann zu suchen, den Männern die »richtige« Arbeit zu überlassen. Doch die vier Frauen kämpfen, geben nicht auf, versuchen, in ihren begrenzten Möglichkeiten für sich einzustehen. Für sich selbst, für ihre Träume und für ihre Rechte.

Ich war schockiert, dass dieses Buch erstmals 1908 erschienen ist. Denn so grundlegend sich so vieles seitdem geändert hat, so furchtbar ist es, sagen zu müssen, dass in mancherlei Hinsicht doch so wenig passiert ist. Über ein Jahrhundert später und wir sind noch immer nicht da, wo wir sein sollten. Die Schwierigkeit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, gleicher Lohn, Anerkennung und und und. Die Liste mit Parallelen, mit Problemen ist noch viel zu lange. Stellenweise hatte ich etwas mit der Erzählweise zu kämpfen, fand die Handlung verwirrend – was hauptsächlich daran lag, dass ich nicht immer wusste, wer wer ist, weil ich Probleme hatte, die Namen den Figuren zuzuordnen. Doch das Problem gab sich nach den ersten 50 Seiten zum Glück und ich konnte den Witz erkennen, der in dieser Geschichte steckt, den Zynismus. Und den einen oder anderen Moment, der mich zum Nachdenken gebracht hat. So saß ich da, wartete darauf, dass mein Nagellack trocknete, las vom Zeitvertreib des Nägel Lackierens und stellte mir plötzlich die Frage, ob Nagellack, wie so vieles andere auch, nur erfunden wurde, um Frauen eine Beschäftigung zu geben, sie einem Ideal hinterherrennen zu lassen, sie klein zu halten, sie davon abzuhalten, Sinnvolleres mit ihrer Zeit anzufangen, zu denken. Ein seltsames Gefühl in mir, dieses Buch hat mich berührt. 

Und dann gab es da diesen einen Satz, der mir unter die Haut ging. Der heute so aktuell ist wie damals:

»Es ging, wie es immer geht: Ich wurde zum Schweigen gebracht, aber nicht überzeugt.«

Auch nach über hundert Jahren ein Buch, das es wert ist, gelesen zu werden! 




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Daten zum Buch
Titel: Die Sekretärinnen
Autor*in: Elin Wägner
Sprache: Deutsch
Aus dem Schwedischen übersetzt von Wibke Kuhn
Verlag: Ecco
Hardcover | 174 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0060-2

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