Rezension zu »Am Schattenufer« von Killen McNeill

»Wie es halt immer ist. Einer liebt immer mehr als der andere, und das ist derjenige, der dann leidet. Also ist es besser, der zu sein, der nicht so sehr liebt.«

1973 in der Bundesrepublik Deutschland, ein kleiner Ort in der Idylle des Steigerwalds unweit Bamberg: Der Lehramtsstudent John Dalzell hat sein Heimatdorf in Nordirland verlassen und verbringt ein Auslandssemester in Deutschland. Eine willkommene, geplante Flucht nach vorne, raus aus der von Gewalt und Hass geprägten Lebensrealität Zuhause. Zwar sind vor allem in der ländlichen Gegend des Steigerwalds die Ausläufer, Nachwirkungen, Narben des Nationalsozialismus noch immer präsent, doch kann John in einer Distanz dazu stehen. Lediglich die Briefe seiner Familie erinnern ihn an die Bombenanschläge, den Krieg zwischen Protestant*innen und Katholik*innen im so fern wirkenden Nordirland. Sein Glück könnte kaum perfekter sein als plötzlich Teresa Cassidy vor ihm steht: seine heimliche, große Jugendliebe. Auch sie studiert Lehramt und arbeitet während ihres Auslandssemesters an einer Schule in Bamberg, mit der Bahn nur einen Katzensprung vom kleinen Örtchen entfernt, in dem John lebt. Fern der Heimat lernen sich die beiden erneut kennen und John wird schnell klar, dass seine Gefühle für diese wunderschöne, kluge, engagierte Frau nie wirklich verschwunden waren. 

»Sie neigt sich ein wenig in meine Richtung, als sie das sagt, und gewährt mir das strahlendste Lächeln des ganzen Abends. Wenn sie das noch einmal tut, bin ich endgültig verloren.«

Eine gewaltige Liebe entfaltet sich zwischen den beiden. Doch trotz Johns Verdrängungsversuchen wissen beide, dass ihre Liebe Zuhause keine Chance hätte. Denn John ist Protestant und Teresa Katholikin. So verheimlichen sie ihre Beziehung vor ihren Familien, genießen die gemeinsame Zeit in Franken zwischen Weinbergen, urigen Wirtshäusern mit stets gefüllten Maßkrügen und Weihnachtsmärkten. Während John in seiner Abschlussarbeit versucht, der Verblendung auf den Grund zu kommen, die 1938 zur Reichspogromnacht führte und gleichzeitig die Augen vor den Unruhen Zuhause verschließt, lassen Teresa die Geschehnisse in Nordirland nicht los. Doch trotz ihrer gegensätzlichen Einstellungen und Lebensrealitäten versuchen beide, nicht daran zu denken, was aus ihnen werden soll, wenn ihr Auslandssemester vorbei ist. Denn John möchte in Deutschland bleiben, sich ein Leben mit Teresa aufbauen, Nordirland hinter sich lassen. Teresa hingegen kämpft mit ihren widersprüchlichen Wünschen: Auch sie möchte ein gemeinsames Leben. Und doch möchte sie Zuhause für die Veränderung eintreten, die dieses Land so dringend braucht. Wird ihre Liebe halten oder zerbricht sie unter dem nordirischen Konflikt? 

Das müsst ihr selbst herausfinden. Ich kann es euch nur ans Herz legen. Euch darum bitten, euch auf diese herzzerreißende Liebe einzulassen. Ja, sie wird weh tun. Ja, sie wird nicht einfach sein. Aber sie ist es wert. Jedes einzelne Wort. »Am Schattenufer« hat sich in mein Herz geschlichen, es mir gebrochen und gestohlen. 

Zuallererst war dieser Roman ein Stückchen Heimat für mich. In dieser Region um Würzburg, Bamberg und Nürnberg bin ich aufgewachsen, kenne die Eigenheiten der endlosen kleinen Örtchen, die teilweise nur aus einer Straße bestehen. Habe unzählige Wochenenden bei meinem Ex-Freund im Steigerwald verbracht, habe – passenderweise – selbst einige Zeit lang Lehramt in Würzburg studiert. It's all the places I know. Diese Orte aus einer fremden Perspektive zu erleben hat mich zutiefst berührt, in mir etwas hervorgerufen, das ich sonst nicht habe: ein Gefühl von Heimweh. Die Schönheit, die diese Orte zu bieten haben, wurde mir durch den Blick von außen erst richtig bewusst – für mich waren und sind sie einfach Alltag, doch es steckt Magie in ihnen, wenn man sich nur die Zeit nimmt, hinzuschauen. Die Eigenheiten der unterschiedlichen Dialekte, die John und Teresa so faszinieren und die ich selbst nie ganz verstanden habe. Und die Menschen in den Dörfern. Leider findet man auch 50 Jahre nach diesem Buch noch viel zu oft die damals schon überholten Vorurteile, Probleme, Unverständnisse. Achja, bayerische Dörfer und ihr Heimatstolz. Ich habe mit John und Teresa den Kopf geschüttelt. Auch hier: Die Nachläufer der NS-Zeit aus einer Außenperspektive und festgemacht an einem konkreten Ort zu erleben, hat etwas gemacht mit mir, mir die ein oder andere Träne beschert. Und dann diese Parallelen. Wie konnte 20 Jahre nach dem Dritten Reich in Nordirland etwas derartiges passieren? Wie können sich Menschen auf den Tod bekriegen wegen zweier Glaubensrichtungen, die doch eigentlich identisch sind? Wie schafft man es, die Ignoranz, die Inakzeptanz auszumerzen? Wie schafft man es, dass zwei Menschen, die sich lieben, einfach nur das tun dürfen: sich lieben. Ohne wenn und aber. Ohne Angst vor Verfolgung, vor Hass. Egal ob hier oder sonst wo auf der Welt, egal ob damals oder heute. »Am Schattenufer« hat mir gezeigt, wie weit wir schon sind und wie weit der Weg ist, der noch vor uns liegt. »Am Schattenufer« ging mir unter die Haut. Absolutes Herzensbuch!




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Daten zum Buch
Titel: Am Schattenufer
Autor*in: Killen McNeill
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Gottfried Röckelein
Verlag: Ars Vivendi
Hardcover | 336 Seiten | ISBN: 978-3-86913-193-1

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