Rezension zu »Die Wilderin« von Sophie Reyer

»Die Wilderin« erzählt das Leben der legendären Wilderin Elisabeth »Theres« Lackner nach. Ein Leben, das in den Tiroler Bergen und Wäldern um 1900 gelebt wurde. Ein Leben, das von Kindheit an geprägt war von Verzicht, Ungewissheit, Sorgen. Und vor allem Hunger. Ein Hunger, spürbar im Bauch der kleinen Theres, die immer hofft, dass ihr Vater mit einem erlegten Tier aus dem Wald zurückkehrt. Auch sie will ihrer Familie helfen und so bittet sie ihren Vater in jungen Jahren, ihr das Jagen beizubringen, wird zur einzigen Frau im Tal, die wildert. Eine Leidenschaft, geboren aus der Not und genährt von einer in ihr wohnenden Lust, entsteht, die Theres ein Leben lang begleiten wird. Ein Leben, das karg bleibt und hart. Ein Leben, das sie dem Wohl ihrer vielköpfigen Familie unterordnet, denn mit ihrem Mann bekommt Theres ein Kind nach dem anderen. So viele hungrige Mägen, die auf Nahrung warten. Ein Leben voller Tod und Schmerz und Rückschlägen. Bis ein Toter im Tal gefunden wird und Theres als Schuldige gilt. Obwohl die Indizien auf Theres hindeuten, glaubt Inspektor Andreas Schmidt nicht an Theres' Schuld. Und so begibt er sich auf eine Spurensuche nach der Wahrheit – die des Falls und die der Theres. Er taucht tief ein in das Leben dieser Wilderin, um die so manche Mythen ranken. 

Auf den ersten Blick – Cover, Titel, Handlungsort, Klappentext – hat mich der Roman sofort angesprochen. Los ging die Reise mit einem Prolog – und was für einem. Definitiv einer der besten Prologe, die ich je gelesen habe, ich hab ihn direkt dreimal hintereinander gelesen, so fasziniert war ich. Die Stimmung, die kreiert wurde: mystisch, mächtig, dunkel, verheißungsvoll, düster, schwer, zum Greifen nahe. Eine Stimmung, die so gigantisch, so großartig, so intensiv war. Eine Stimmung, die ich im ganzen restlichen Buch gesucht und nicht gefunden, schmerzlich vermisst habe. Deswegen fällt mir diese Rezension auch nicht ganz leicht, denn so gut wie der Prolog war, so hatte ich doch auch meine Probleme mit dem restlichen Buch. Ich hatte keine konkreten Erwartungen an die Geschichte, hatte aber auch erwartet, dass das Wildern deutlich mehr im Fokus steht – meist ging es nicht über eine bloße Erwähnung hinaus. Obwohl viel passiert ist, kam es mir nicht so vor. Ich habe immer darauf gewartet, dass etwas passiert, dass Fahrt aufkommt. Sowohl in den Kapiteln, die aus Theres' Sicht geschrieben sind, als auch in denen, in denen Andreas ermittelt. Ermittlungen, die doch deutlich im Hintergrund des Geschehens waren und sich in einem Schluss aufgelöst haben, bei dem ich mich nach wie vor frage, ob er genial oder schlecht war (ich glaube ich tendiere zu letzterem). Vielleicht trifft das auf vieles in diesem Buch zu: Die Beziehung zwischen Theres und Andreas, die sich aufbaut. Der Mythos, dass Theres des Nachts mit den Saligen tanzt – wilde Berggeister, die manchmal, so scheint es, die Kontrolle übernehmen. Oder auch einfach nur als Ausrede für unerwünschtes Benehmen dienen? Ich wurde einfach nicht warm mit Theres, die – ja, ich kann und will es nicht leugnen, genug durchgemacht hat im Leben – doch sie ruhte sich darauf aus. Schob ihre Schuld beiseite, handelte stets unüberlegt und war von den Konsequenzen überrascht, sie hätte leben können, hätte sie ihre Zeit nicht damit verbracht, auf den Tod zu warten. Um doch noch etwas positives sagen zu können, möchte ich den Schreibstil betonen, der mich als Leserin von Wortwahl und Satzbau stimmungsmäßig genau in die Zeit gebracht hat, in der die Geschichte spielte. 

Für mich war die »Die Wilderin« kein per se schlechtes Buch, nur eben leider recht durchwachsen. Was schade ist, denn der Prolog verdient es, von so vielen Menschen wie möglich gelesen und genossen zu werden!




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Daten zum Buch
Titel: Die Wilderin
Autor*in: Sophie Reyer
Sprache: Deutsch
Verlag: Emons
Taschenbuch | 224 Seiten | ISBN: 978-3-96041-952-5
Anmerkung: gelesen als E-Book via Netgalley

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