Rezension zu »Iss das jetzt, wenn du mich liebst« von Bianca Nawrath

Eigentlich ist Kinga eine starke, selbstbewusste Frau, im Großen und Ganzen im Reinen mit sich selbst. Geboren in Polen und aufgewachsen im Märkischen Viertel in Berlin, seit ihre damals 25-jährigen Eltern mit ihrer 3-jährigen Tochter auf der Suche nach einem besseren Leben und einer besseren Zukunft aus Polen ausgewandert sind. Inzwischen wohnt Kinga nicht mehr dort, kehrt aber für regelmäßige Besuche bei ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester zurück in die Platte, die sich nach wie vor mehr nach Heimat anfühlt als das Land, in dem sie geboren wurde. In Mahmut hat Kinga einen wundervollen Partner gefunden, mit dem sie seit Jahren nicht nur die Wohnung, sondern auch ihr Leben und ihre Weltansichten teilt. Inzwischen sind die beiden sogar verlobt. Es könnte so schön sein, oder? Wäre da nicht dieses eine, kleine, äußert relevante Detail mit enormer potenzieller Zerstörungskraft: Kingas Eltern wissen nach wie vor nichts von Mahmuts Existenz. Warum? Weil Mahmut Türke ist und Kinga weiß, dass ihre Eltern diesen Umstand nicht akzeptieren werden. Schließlich wollen sie nur das Beste für ihre Töchter. Und das bedeutet: Einen Mann, der deutsch oder polnisch zu sein hat. Nur eben definitiv nicht türkisch. Als sich Kinga endlich dazu überwindet, ihren Eltern von Mahmuts Existenz zu erzählen – die Verlobung wird lieber mal verschwiegen, das wäre dann doch zu viel auf einmal für ihre konservativen Eltern – kommt, was kommen musste: Sie sind nicht begeistert. Beschließen: »Den werden wir schon irgendwie wieder los.« Und für diesen Zweck offenbart sich auch schon der bestmögliche Anlass: Die Familie ist zur Hochzeit von Kingas Cousine Marta nach Polen eingeladen. Kurzerhand soll Mahmut mit, denn mit vereinten polnischen Familienkräften sollte diese Phase schneller vorbei sein als man »Borschtsch« sagen kann. Kinga und Mahmut fügen sich in ihr Schicksal, eine Wahl bleibt ihnen sowieso ja nicht. Und so beginnen ein paar Tage in Polen, die nicht nur für Kinga und Mahmut zu einer Gedulds- und Zerreißprobe werden. 

Was für ein wunderbares Buch! Von Anfang an hatte ich Kinga und Mahmut in mein Herz geschlossen und mit den beiden mit gefiebert, mit gehofft und mit gelitten. »Iss das jetzt, wenn du mich liebst« bietet so viel, erzählt so viele Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, und am Ende eine einzige sind: Die Geschichte einer Familie. Kinga, die selbstbewusste junge Frau, die sich gleichzeitig und ohne es zu merken so sehr nach der Akzeptanz ihrer Familie sehnt. Für die sich Polen nicht mehr wie Zuhause anfühlt, die durch ihre Deutschheit aneckt und für Unverständnis sorgt bei der polnischen Verwandtschaft. Die eben nicht so perfekt ist wie Cousine Marta. Mahmut, der versucht, einen Platz in einer Familie zu finden, die ihn nur aufgrund seiner Herkunft ablehnt und ausschließt. Kingas Eltern, die nur das Beste für ihre Kinder wollen und dabei den Bogen immer wieder überspannen. Die selbst gefangen sind zwischen zwei Welten, zwischen Polen und Deutschland, das eine Heimat, das andere aber auch. Für das eine Land zu polnisch, für das andere Land nicht mehr polnisch genug. Die ihr Leben verbracht haben mit der Gratwanderung aus Anpassung und Festhalten an der eigenen Kultur. Die feststecken ohne einen Ausweg zu sehen und zu sehr festhalten – an ihren Kindern, ihren Ansichten, einer überholten, oft auch übergriffigen und nicht mehr funktionierenden Familiendynamik. Eine Familiendynamik, die immer wieder durch Rückblicke in Kingas Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter klarer wird, nachvollziehbarer, zerrissener. Am Ende geht es genau darum: Um Menschen, die erst sich selbst finden müssen, um wieder als Familie zueinander finden zu können. Und um das kulturelle Erbe, um die Feinheiten und Unterschiede unterschiedlicher Kulturen und die Brücken zwischen ihnen, die manchmal so groß sind und manchmal viel kleiner, als es den Anschein hat. Denn am Ende vereint alle eins: Familie. Es geht um Verständnis, um Liebe, um die Kraft, den Schein abzulegen und die Wahrheit zu akzeptieren. Keine Familie ist perfekt. Keine Familie muss perfekt sein. Doch sie muss ehrlich zu einander sein und sich einlassen auf das Neue. Muss zulassen, sich zu verändern und zu wachsen. Muss bereit sein, das Glück und das Leben jedes einzelnen Mitglieds zu achten und zu unterstützen. Muss da sein, wenn's darauf ankommt. 

»Iss das jetzt, wenn du mich liebst« ist ein feinfühliger, leichter, leiser, bewegender und gleichzeitig auch unterhaltsamer Roman, der mich so oft zum Schmunzeln gebracht hat. Lest ihn, er ist es wert!




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Daten zum Buch
Titel: Iss das jetzt, wenn du mich liebst
Autor*in: Bianca Nawrath
Sprache: Deutsch
Verlag: Ecco
Hardcover | 288 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0002-2

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