Rezension zu »Was wir wollen« von Meg Mason

Martha ist Ende dreißig, mit ihrer Jugendliebe Patrick verheiratet und wohnt in einem großen Haus in Oxford. Sie ist kinderlos, wollte nie Kinder, ein Wunsch, den Patrick ihr trotz seines eigenen Kinderwunsches erfüllt hat. Denn Marthas Glück stand und steht für Patrick immer an erster Stelle. Von außen außen betrachtet hat sie alles, was man sich nur wünschen könnte. Doch Martha ist nicht glücklich. War es noch nie. Seit ihrer Jugend schon nicht mehr. Ihr Leben zu leben scheint für sie schwieriger zu sein als für die anderen. Ihre Familie glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Martha tatsächlich krank ist, sie haben akzeptiert, dass das einfach Martha ist und konzentrieren sich auf ihr eigenes Leben: der Vater, der seit Jahrzehnten an seinem Erstlingswerk arbeitet; die Mutter, eine alkoholkranke mittelmäßige Künstlerin; die Schwester, eine aufopferungsvolle Mutter vieler Kinder; Patrick, ein angesehener Unfallchirurg. Doch Martha weiß, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Nur was genau, das kann ihr niemand sagen. An ihrem 40. Geburtstag eskaliert die fragile Situation schließlich und Patrick verlässt Martha. Martha bleibt zurück in einem Leben, das sie nur seinetwegen gelebt hat und muss sich – vielleicht zu spät – ihren Gefühlen, ihrem Leben, und vor allem sich selbst stellen, um endlich Klarheit zu erlangen. 

In letzter Zeit begegnen mir immer wieder Charaktere, die vielschichtig sind, nicht auf den ersten oder zweiten Blick sympathisch, genau dadurch aber echt. So auch in Was wir wollen: Ich schwankte zwischen meinem Mitleid mit Martha und meinem Unverständnis ihr gegenüber. Ihr tatsächliches physisches und psychisches Leiden einerseits und ihrer Entscheidung, sich diesem Leiden hinzugeben andererseits. Ich wollte sie in den Arm nehmen, gleichzeitig wollte ich sie schütteln und ihr sagen, sie solle sich zusammenreißen. Ich wollte sie verstehen auch wenn sie es mir manchmal so unendlich schwer gemacht hat. Mir erging es mit Martha wie ihrer Familie. Was wir wollen hat mich berührt und verwirrt und verletzt und geborgen. Ich kann mir nicht im entferntesten vorstellen, wie viel Kraft es kostet, tagein, tagaus, jahrzehntelang mit einer psychischen Krankheit zu leben. Ohne Diagnose, ohne Medikamente und Hilfe, im Wissen, dass die anderen es nicht mehr als Krankheit, sondern als »So ist Martha eben« anfangen zu erfassen. Wie gehst du Bindungen ein, wenn du dich nicht um dich selbst kümmern kannst? Wie lebst du, wenn du nicht am Leben sein möchtest? Wie findest du heraus, was du willst, wenn du gerade mal so funktionierst? Was wir wollen ist vielschichtig, tiefschürfend, erschütternd und ein wichtiger, schonungsloses Aufbegehren gegen das leider nach wie vor existierenden Tabuthema der psychischen Krankheiten.

Was wir wollen ist vieles. Es ist die Geschichte der Protagonistin Martha, ihr Leidens- und Lebensweg ab ihrer Kindheit an. Ihre erste Begegnung mit ihrer psychischen Krankheit, die sie vom Moment ihrer Jugend an für den Rest ihres Lebens begleiten soll. Es ist ein Bericht über die Unfähigkeit der Ärzt*innen, eine zutreffende Diagnose zu stellen. Es ist ein Spiel mit Licht und Dunkel, mit Freude und Schmerz. Es ist eine Erzählung über die Liebe, die romantische wie familiäre, über Bindungen und Bindungsängste. Über das Auf und Ab einer Ehe, über ein Brechen mit sozialen Konventionen. Es ist die Frage danach, wer man ist, wenn man nie anfangen konnte zu sein, gefangen gehalten von einer unsichtbaren, unbestimmbaren Krankheit. Es ist die Erkenntnis, dass nicht zur die Betroffenen, sondern auch die Beteiligten, die Liebenden leiden. Dass man zwar alleine krank ist, aber nicht allein gelassen. Eine Erinnerung daran, dass sich die Welt nicht um eine einzelne Person dreht. Man vielleicht der Mittelpunkt seiner eigenen Geschichte ist, aber nicht der von anderen. Dass Liebe und Bindung, das Funktionieren einer jeden Beziehung den Willen und die Aufopferungen von zwei Menschen erfordert. Dass Leben und Lieben nichts ist, das klaren Regeln folgt. Es ist eine Anregung dazu, sich mit dem auseinanderzusetzen, was wir wollen. Für uns, für andere, für unser Leben. Und die Aufforderung, darauf hinzuarbeiten. Was wir wollen ist ein Bekenntnis, eine Liebeserklärung an das wunderbare, schmerzhafte, chaotische, unvorhergesehene, verrückte Leben mit allen Höhen und Tiefen.




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Daten zum Buch
Titel: Was wir wollen
Autor*in: Mag Mason
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Yasemin Dinçer
Verlag: Ecco
Hardcover | 416 Seiten | ISBN: 978-3-7530-0003-9

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