Rezension zu »Violeta« von Isabel Allende


 
»Und ein Stockwerk höher, zwischen vier nach dem Holz der einheimischen Wälder duftenden Wänden, im nur von einer bäuerlichen Gardine aus rohem Sacktuch gedämpften Sonnenlicht, lernte ich mit achtundzwanzig Jahren auf dem mit Leinen bezogenen Federbett des Hotels die überraschenden Möglichkeiten der Lust kennen und den grundstürzenden Unterschied zwischen einem wenig inspirierten Ehemann und einem fabelhaften Liebhaber.«

Violeta del Valle kam als sechstes Kind, als einzige Tochter unter Söhnen, im Jahre 1920 in Südamerika zur Welt während um sie herum die Spanische Grippe wütet. Ihr langes und ereignisreiches Leben teilt sich auf ihr vier Lebensabschnitte, die wiederum die vier Kapitel des Romans bilden: Der erste Teil, 1920 bis 1940, erzählt von Violetas Kindheit. Erst im Anwesen ihrer Eltern, später, nachdem ihr Vater in der Weltwirtschaftskrise das Familienvermögen verloren hatte, auf einem Bauernhof in der Provinz. Danach begleiten wir Violetas Leben als Erwachsene, begleiten sie 1940 bis 1960 während ihrer Ehe mit Fabian Schmidt-Engler, Sohn deutscher Eltern. Ihre ersten beruflichen Erfolge an der Seite ihres Bruders José Antonio. Dieser Lebensabschnitt ist prägend für sie, handelt er doch von Leidenschaft und Verderben, dem Erwachen einer sexuellen Begierde, ihrem Leben als Mutter, Frau, Mensch. Weiter begleiten wir Violetas Leben, dieses Mal 1960 bis 1983. Im Zentrum dieses Lebensabschnitts stehen ihre Kinder, die Tücken des Erwachsenwerdens, die schönen wie furchtbaren, die unvorhergesehenen Momente. Dieser Abschnitt prägt Violeta, weckt ihren Lebenswillen, den Wunsch nach Freiheit, Selbstbestimmung, dem Erfüllen von Verlangen. 1983 bis 2020 schließlich ist der Zeitraum, den Violeta als Wiedergeburt ansieht. Das voranschreitende Alter offenbart Lebenslinien, Irrwege und neue Richtungen, die Weisheit eines Lebens sammelt sich schließlich zur Erkenntnis nach dem Sinn ihres Lebens. Es ist nie zu spät, neu anzufangen, Träume zu verwirklichen, für das einzustehen, woran man glaubt. 

Ich könnte hier jetzt den gesamten Inhalt dieses Buchs wiedergeben, ich habe mir noch nie derart viele Notizen beim Lesen gemacht, einfach alles schien wichtig zu sein. Violeta ist mein erstes Buch von Isabel Allende und es hat mich mitgerissen, verzaubert, bewegt. Hat in mir die Lust geweckt, mehr von der Autorin zu lesen. Die Figur der Violeta hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Ebenso wie die anderen starken Frauen, an denen es in diesem Buch wirklich nicht mangelt. Violetas Leben ist ein langes, geboren und gestorben in einer Pandemie, die Parallelen trotz des Jahrhunderts dazwischen erschreckend. Violetas Geschichte ist das einer Frau, die sich ihren Platz im Leben erkämpft hat. Ihr Leben zeugt von Schmerz, Enttäuschung und Leid ebenso wie von Freude und Glück und dieser gewissen Prise Magie. Es ist eine Geschichte nicht nur über sie, sondern über all die Menschen, die sie auf ihrer Reise begleitet haben; manche kurze, manche lang; die einen, die ihren Lebensweg nur streiften und die anderen, die ihn dauerhaft prägten. Am Ende geht es vielleicht darum: Jede Entscheidung, jede Person, die wir in unser Leben lassen, wird ein Teil unserer Geschichte. So wie sie auf uns wirken, wirken wir auf sie. Violetas Geschichte ist die eines ganzen Landes, zahlreiche Umbrüche, Katastrophen, Chancen über die Zeit hinweg. Es ist die Geschichte von Hoffnung und zweiten Chancen, denn man ist nie zu alt, sein Leben zu ändern, für das Richtige einzustehen, für sich selbst einzustehen. Violeta ist stark und schwach, ist Leben.

Ich habe Violetas Geschichte in mein Herz geschlossen. Habe etwas über die Geschichte eines Kontinents gelernt, über den ich viel zu wenig weiß. Habe etwas über das Menschsein gelernt, über das Leben. Habe etwas für mich mitgenommen. Sind das nicht die besten Bücher?




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Violeta
Autor*in: Isabel Allende
Sprache: Deutsch
Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker
Verlag: Suhrkamp
Hardcover | 400 Seiten | ISBN: 978-3-518-43016-3

Kommentare