Rezension zu »Die Odyssee« von Lara Williams

Ingrid lebt seit fünf Jahren auf dem Kreuzfahrtschiff WA. Zu ihren engsten und eigentlich auch einzigen Freund*innen gehört das Geschwisterpaar Mia und Ezra. Ingrid lebt seit drei Jahren in derselben Kabine. Was das bedeutet? Dass Ingrid seit drei Jahren kein Land mehr unter den Füßen gespürt hat, denn: Wer seine Option auf Landurlaub einmal im Jahr nutzt, verliert seine Kabine. Wer bleibt, behält sie. Und Ingrid mag ihre Kabine. Bald steht auch ein neuer Job für sie an, denn auch Jobs werden auf dem Kreuzfahrtschiff regelmäßig ausgetauscht. So lebt Ingrid also, in ihrer kleinen, künstlich hergestellten Welt auf dem Meer. Doch plötzlich steht eine große Veränderung an: Sie wurde auserwählt. Wozu weiß weder sie, noch sonst jemand an Bord. Und trotzdem bewirbt sich Ingrid Jahr für Jahr für dieses Programm, wie alle anderen auch. Dieses Jahr zählt sie zu den wenigen Auserwählten. Sie lernt Keith kennen, den Schiffskapitän und Leiter des Programms, der ihre Tauglichkeit in Bezug auf die japanische Methode des Waba-Sabi testet. Ihre geordnete, sichere, langweilige Welt, die sich ständig vorwärtsbewegt selbst wenn Ingrids Leben stillsteht und in der doch nichts wirklich passiert, verliert das Gleichgewicht. Denn Keith stochert in ihrer Psyche, bringt die ach so gut verdrängte Vergangenheit, das Leben vor dem Schiff, wieder an die Oberfläche. Mit verheerenden Auswirkungen für Ingrids Selbst. 

Der Roman ist aus der Sicht von Ingrid geschrieben, ein wahnsinnig interessanter Charakter. Eine Alkoholikerin, die vor Vergangenheit, Realität und dem Leben davon rennt. Seit nunmehr fünf Jahren. Trocken ist sie nur, solange sie das Kreuzfahrtschiff, ihr Fixpunkt und Fluchtort, nicht verlässt. Doch warum sollte sie auch? Die Welt hält nichts bereit, das es wert wäre, sich damit auseinanderzusetzen. Vergangenheitsbewältigung mag für manche eine Lösung sein, Verdrängung aber ist so viel leichter. Und Ingrid läuft und läuft. Wie ein Hamster im Rad auf einer fahrenden Welt, aus der es kein Entrinnen gibt. Gefangen und frei zugleich. Der Tausch der ganzen Welt gegen ein Stück Seelenheil. Zu welchem Preis? Am Ende bleibt die Verwirrung. Für Ingrid, für mich als Leserin. Die Geschichte wird im Guten abstrus, war es vielleicht schon immer. Was ist Realität, was Fantasie? Um was geht es hier? Um alles, um nichts? Ein Tagtraum, eine Parallelwelt, eine Illusion, ein Fährweg ins Nichts? Lest es selbst, trefft eure Entscheidung, ich bin gespannt.




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Daten zum Buch
Titel: Die Odyssee
Autor*in: Lara Williams
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné
Verlag: Atlantik
Hardcover | 256 Seiten | ISBN: 978-3-455-01471-6

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