Rezension zu »Intimitäten« von Katie Kitamura

Protagonistin dieser Geschichte ist eine Dolmetscherin mit amerikanischen und japanischen Wurzeln. Nach dem Tod ihrs Vaters und dem Umzug ihrer Mutter nach Singapur, hält sie nichts mehr in New York, ein Ort, der nur durch die Anwesenheit ihrer Eltern ein Zuhause für sie war. Als sie das Angebot bekommt, für ein Jahr am internationalen Gerichtshof in Den Haag zu arbeiten, nimmt sie an. Durch ihre neu gewonnene Freundin Jana und die Beziehung zu Adriaan, frisch verlassen von seiner Frau und Vater zweier Kinder, fängt sie langsam an, Fuß in der fremden Stadt zu fassen. Eines Nachts wird sie ins Gefängnis gerufen. Ein Dschihadist wurde verhaftet, erst zum zweiten Mal in der Geschichte, dass jemand wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung angeklagt wird. Und schon bald wird sie als Dolmetscherin bei einem langjährigen Prozess gegen einen ehemaligen Präsidenten eines afrikanischen Landes eingesetzt, der für den eigenen Machterhalt schlimme Kriegsverbrechen sowie Menschenrechtsverletzungen begangen und in Auftrag gegeben hat. Inmitten dieser schweren Arbeit verschwindet Adriaan plötzlich zu seiner Noch-Ehefrau und sie weiß nicht, ob er jemals wieder kommt. Was ist Wahrheit in ihrem Leben, was Lüge? Beruflich wie privat?

Dieser Roman ist leise, einfühlsam, intim. Wer eine spannende Handlung erwartet, wird enttäuscht werden. Denn darum geht es nicht in Intimitäten. Es geht um die anstrengende unmöglich scheinende Arbeit von Dolmetscher*innen, die es schaffen, eine Hülle, ein reines Sprachrohr für die Stimme einer anderen Person zu werden ohne sich am Ende selbst zu verlieren. Es geht um die Einblicke in die Arbeit am Gerichtshof und Rassismus-Vorwürfe, sich nur auf den Kontinent Afrika zu konzentrieren. Intimitäten zeigt in faszinierender, einfühlsamer Weise die Feinheiten von Sprache, Gestik und Mimik, die Bedeutung hinter den Worten, die wir sagen. Das Zusammen- und Gegenspiel von Menschen. Dominanzstrukturen, Demütigungen, Macht. Es zeigt die Risse auf, die sich auftun, wenn man einen aufmerksamen Blick hinter die Fassade des Kultivierten richtet. Erzählt von einem Leben in verschiedenen Städten, wechselnden Heimaten, dem Gefühl heimatlos zu sein. Man begleitet die Protagonistin auf der Suche nach einem Zuhause, nach etwas Echtem, Dauerhaftem. Der Roman stellt Fragen nach Schmerz und Lüge, führt in subtiler Weise all die Formen von Rohem und Gewalt vor Augen, die allgegenwärtig sind, wenn auch versteckt unter der Oberfläche brodeln. In Intimitäten steckt die ganze Kraft unserer Worte, wer wir sind und zu was sie uns machen.




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Daten zum Buch
Titel: Intimitäten
Autor*in: Katie Kitamura
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum
Verlag: Hanser
Hardcover | 224 Seiten | ISBN: 978-3-446-27404-4

Kommentare

  1. Anonym24.8.22

    Jetzt bin ich noch neugieriger. Danke für die ausführliche Rezension.

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    1. Der erste Kommentar auf meinem Blog 😍 ich danke dir so sehr!

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