Rezension zu »Corregidora« von Gayl Jones

Ursa Corregidora ist eine afroamerikanische Blues-Sängerin, die in Kentucky 1947 jeden Abend in Happy's Café auftritt. In ihren Liedern verarbeitet sie den Schmerz ihrer Herkunft. Denn ihr Nachname, Corregidora, war auch der Name eines portugiesisch stämmigen Sklavenhalters im 19. Jahrhundert. Corregidora, ein Sklavenhändler, der seine Sklavinnen zur Prostitution gezwungen hat. Corregidora, Ursas Großvater und zugleich auch Urgroßvater. Ursa selbst die Tochter eines Mannes, der ihre Mutter verlassen hat. Als Ursa als Konsequenz eines Streits mit ihrem Mann ihr ungeborenes Baby verliert, bröckelt ihre Welt weiter. Doch auch als sie dem Besitzer der Bar näher kommt, ändert sich für Ursa nichts, es wird nur schlimmer. Denn Ursa will keinen Sex, fühlt sich nicht wohl dabei. Hat kein Verlangen und in den seltenen Momenten, in denen sie in ihrem Leben Verlangen empfunden hat, konnte sie dies nicht äußern, war immer abhängig von den Launen der Männer in ihrem Leben. Ein Konflikt, ein Widerspruch. »Schaff Generationen« heißt schließlich die Aufgabe der Corregidora-Frauen, die von Generation zu Generation weitergereicht wird. Um die eigene Lebensgeschichte weiterzugeben, das Leid der Sklav*innen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Von Uroma zu Oma zu Mutter zu ihr. So hat Ursas Mutter selbst nie über ihre eigene Vergangenheit und ihr Leben erzählt, was zählte war die Weitergabe und die Erinnerung an die Zeit vor der Abolition. Doch wer ist Ursas Mutter? Wer ist Ursa? Was bedeutet es für Ursas Leben, sollte das Schaffen von Generationen mit ihr enden? Denn Ursa hat immer das Gefühl, dass Corregidora ein Teil von ihr ist, sie niemals ganz sie selbst und alleine mit sich sein kann. Kann Ursa die Last der Vergangenheit überwinden, hinter sich lassen und trotzdem im Gedächtnis bewahren? Schafft es Ursa, auf ihre Art zu leben, zu lieben, zu begehren? Ohne Scham? Ihre eigene Geschichte zu schreiben? 

Als ehemalige American Studies-Studentin (mein Beifach im Bachelor), musste ich dieses Buch einfach lesen, als es als Leseexemplar in der Buchhandlung eingetroffen ist. Die Beschreibung, die Zitate. Ich wusste, dass dieses Buch kein Buch für zwischendurch sein wird. Keine leichte Kost. Aber wichtig. In sprachlicher Bildgewalt, ungeschönt, ehrlich und voller Schmerz berichtet »Corregidora« von der Auseinandersetzung einer schwarzen Frau mit ihrer Lust, ihrer Sexualität, ihrem Leben. Dem in ihr tobendem Konflikt zwischen ihrer Freiheit und dem Gefängnis der Sklaverei der Generationen vor ihr, zwischen Unterdrückung und Selbstbestimmung. Doch nicht zuletzt ist dieses Buch auch ein Lobgesang auf den Blues, Elemente des Blues und des African American Vernacular English sind überall, vielfältig, vertiefen die Bedeutung der Worte, untermalen und bewältigen die tiefen, niemals heilenden Wunden eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte. »Corregidora« hat mir weh getan. Hat mir von Neuem gezeigt, warum es so wichtig ist, sich mit dem Rassismus, der Sklaverei zu beschäftigen, mit ihren Auswirkungen und Nachbeben, die leider auch heute noch viel zu präsent sind. Die Entscheidung, bestimmte rassistische Worte im Text zu belassen, mag manche verwundern oder stören. Doch so seltsam es klingen mag: Es passte. Es verdeutlichte die Gewalt und den Schmerz der Sprache einer Zeit. Hilft, die Dinge im richtigen Kontext und mit der beabsichtigen Intensität wahrzunehmen. 

Ein bewegendes, schmerzendes, furchtbares und zugleich unendlich wertvolles Zeitzeugnis und eine beeindruckende Übersetzung!




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Daten zum Buch
Titel: Corregidora
Autor*in: Gayl Jones
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann
Verlag: Kanon
Hardcover | 220 Seiten | ISBN: 978-3-98568-039-9

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