Rezension zu »Chamäleon« von Annabel Wahba

Was tun, wenn nur der Abschied bleibt? Dieser Frage stellt sich die Autorin von Chamäleon, Annabel Wahba, denn ihr Bruder liegt im Sterben. Bewacht von den Augen von Anubis. Um den Abschied, den Übergang leichter zu machen erzählt sie ihm am Sterbebett die Geschichte ihrer Familie. Eine Geschichte mehrerer Generationen auf drei Kontinenten, begleitet von mehreren Kriegen und Neuanfängen. Reflektiert, berichtet, versteht dadurch sich selbst – wie sie selbst zum Chamäleon wurde, immer in der Anpassung befindend Dank ihrer deutsch-ägyptischen Herkunft. 

Die Geschichte beginnt kurz vor dem zweiten Weltkrieg mit den Großeltern der Autorin, ihre Mutter, Tanten und Onkel noch Kinder. Der Tod des Großvaters in einem fehlgeleiteten Krieg, der folgende Neuanfang, der die Liebe ihrer Mutter für die USA aufweckte. Die Geschichte setzt sich fort in den USA, in denen sich ihre Mutter zu einer interessierten, selbst bestimmten, jungen Frau entwickelte und ein Fernweh weckte, das niemals ganz versiegte. Die Umstellung, die es bedeutete, als sie sich in einen ägyptischen Mann verliebte, ihn heiratete und Kinder bekam. Ihre progressive Art und seine konservative Erziehung in Ägypten. Seine Sorgen und Ängste, der Rassismus, der ihm in Deutschland unweigerlich begegnete. Die Zeit der Familie in Ägypten, die die Autorin nicht miterlebte, nur aus Erzählungen kennt, sich deswegen immer etwas abseits fühlte. Und schließlich die Kindheit, das Leben der Autorin selbst. Immer etwas anders aufgrund ihrer Wurzeln – Mal zu deutsch, Mal zu ägyptisch. Verurteilung, Auffallen – was bleibt ist die Anpassung, das Chamäleon. 

Eine Familie voller beeindruckender Menschen samt ihren Geschichten, besonders die starken Frauen haben es mir angetan. Recherchiert, reflektiert, im perfekten Grat zwischen nüchtern und einfühlsam gibt Annabel Wahba intime, bewegende Einblicke in die Geschichte ihrer Familie, in verschiedene Kulturen, Lebensweisen, Zeitfragmente. Entstanden ist ein Roman über Schmerz und Liebe, Abschiede und Neuanfänge, das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit, Sehen und Fluch zugleich. 

Ich kann euch dieses Buch wirklich nur ans Herz legen, denn ihr werdet lachen, schmunzeln, euch wundern, vielleicht auch die ein oder andere Träne verdrücken. Aber seid gewarnt – es wird der Wunsch in euch wach werden, mehr über eure eigene Familiengeschichte zu erfahren.




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Daten zum Buch
Titel: Chamäleon
Autor*in: Annabel Wahba
Sprache: Deutsch
Verlag: Eichborn
Hardcover | 285 Seiten | ISBN: 978-3-8479-0097-9

Kommentare

  1. Anonym26.8.22

    Danke für die tolle Besprechung. Es hat jetzt schon einiges in mir wachgerüttelt. @ein.lesewesen

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    1. Ist es nicht wunderbar, wenn ein Buch das schafft?! 😍

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