Rezension zu »Große Gefallen« von Lillian Fishman

Eve ist queer, lebt in Brooklyn und arbeitet als Barista in einem kleinen Café. Eigentlich befindet sie sich in einer glücklichen Beziehung. Trotzdem beginnt sie aus einem Bauchgefühl heraus eine Affäre mit dem Paar Nathan und Olivia. Was zunächst als spontaner One-Night-Stand beginnt, entwickelt sich schnell zu einer andauernden Affäre. Auf der Suche nach Antworten zu ihrer Sexualität und Identität und den damit einhergehenden Grenzen stürzt sich Eve in diese Dreiecksbeziehung, die sich schon bald zu Machtspielen und Manipulationen aller Beteiligten, allen voran Nathan, entwickelt. Doch welche Grenzen ist Eve bereit nicht zu überschreiten? Wie weit kann sie gehen auf der Suche nach sexueller Erfüllung und Selbstfindung?

Zu Beginn war ich kein Fan des Buchs. Eve fand ich furchtbar unsympathisch. Eigentlich traf das auf so gut wie alle Charaktere im Buch zu. Außerdem stellt es Sex ungewöhnlich direkt dar, im Buch wimmelt es vor plakativen Sexszenen. Fast wünschte ich, ich hätte anhand einer Strichliste mitgezählt, wie oft das Wort »ficken« in all seinen Konjugationsformen geschrieben stand (kommt schon, dafür gibt's doch wirklich noch genug andere Wörter). Eigentlich mochte ich bis zum Ende hin weder Eve, noch Nathan, noch Olivia. Ich konnte Eves Entscheidungen nicht nachvollziehen, war mit vielen davon auch nicht einverstanden, die sie auf ihrer Suche nach Antworten zu ihrem Begehren traf. Wie ihre Entscheidung, diese toxische, manipulative Beziehung in erster Linie überhaupt einzugehen. Hasste sie manchmal regelrecht für ihre Aussagen, die meinem Verständnis von Feminismus zu 100% widersprechen. Trotz dessen und ganz unmerklich war ich irgendwann gefesselt von Eves Reise, dem sexuellen Erwachen und Grenzen-Austesten einer jungen, queeren Frau, ihren Zweifeln an ihrer sexuellen Orientierung, ihr Versuch von Kontrolle und Loslassen. Denn ist es nicht genau das, worum es geht beim Feminismus? Selbstbestimmung in allen Bereichen des Lebens, ohne sich vor jemandem oder etwas deswegen rechtfertigen zu müssen. Auch im Bezug auf die eigene sexuelle Identität. 

Es gibt Bücher, die berühren einen, bewegen einen, bringen zum Nachdenken. Für mich ist Große Gefallen definitiv eins davon. Nicht, weil es so schön war, sondern weil es unangenehm war. Weil ich konfrontiert wurde mit meinen eigenen Vorurteilen. Weil man am Ende in mancherlei Hinsicht vielleicht doch prüder ist als man dachte. Aber dieses Buch hat mich nicht mehr losgelassen. Ich freue mich seit Januar darauf, endlich was zu diesem Buch schreiben zu können. Ich denke auch jetzt, Monate nach dem Lesen noch an Eves Reise. Ihren Versuch, Lust und Schmerz, Verlangen und Scham zu verstehen, zu akzeptieren, zu widerlegen. Für mich ein fesselndes Buch, das einen dazu bringen kann, seine eigene Sexualität, seine eigenen Grenzen, und das, was man ist und man zugleich von anderen erwartet, zu hinterfragen. Das einen dazu bringen kann, die eigene Komfortzone zu verlassen. Wenn man sich darauf einlässt. Lasst euch ein auf dieses Buch. Ignoriert die plakative, aufdringliche Sprache, wenn sie euch stört, hört auf die Geschichte hinter den Worten. Ein unfassbar lauter Debütroman mit einer wichtigen Message; ich warte gespannt auf das nächste Buch der Autorin!




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Daten zum Buch
Titel: Große Gefallen
Autor*in: Lillian Fishman
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné
Verlag: Atlantik
Hardcover | 256 Seiten | ISBN: 978-3-455-01393-1

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