Rezension zu »Die vier Winde« von Kristin Hannah

Die 25-jährige Elsa Wolcott verbringt den Großteil ihres Lebens in ihrem Zimmer im Familienhaus in einer Kleinstadt in Texas – angeblich hat sie seit einer Kindheitserkrankung ein zu schwaches Herz, um am Leben teilzunehmen. Noch unverheiratet und damit in ihrem Alter als alte Jungfer angesehen, ist der Rest ihres Leben quasi vorprogrammiert. Sie flüchtet sich in Bücher, lernt in ihnen neue Welten kennen, träumt davon, zu studieren und Lehrerin oder vielleicht sogar Schriftstellerin zu werden. Ihre Eltern und Schwestern allerdings halten davon nichts, finden Elsa hässlich und vermitteln ihr das auch regelmäßig. Doch eines Tages ändert sich alles für Elsa: Sie lehnt sich auf gegen ihre Familie, geht feiern und lernt noch in dieser Nacht den 18-jährigen und attraktiven Raffaello Martinelli kennen. Beide fühlen sich zueinander hingezogen, denn beide sehnen sich nach mehr im Leben. Nach ein paar Nächten miteinander wird Elsa schwanger. Ihre Familie verstößt sie und zwingt sie, Raffaello zu heiraten und von Nun an auf der Farm der Martinellis zu leben. Raf, der eigentlich eine Italienerin heiraten und aufs College gehen sollte, ist davon ebenso wenig begeistert wie seine Eltern. Dennoch entscheidet sich Elsa dafür, bei den Martinellis zu bleiben – im Gegensatz zu ihr, soll ihr Kind in dem Wissen aufwachsen, geliebt zu werden. 

Sprung zu 1934: Die USA und vor allem auch die Great Plains sind gebeutelt von Jahren der Trockenheit und den Auswirkungen der Great Depression. Die Ersten verkaufen ihre Farmen und machen sich auf ins verheißungsvolle Kalifornien. Elsa ist inzwischen 38 und hat zwei Kinder. Sie spürt, dass sich ihre Erstgeborene Loreda immer mehr von ihr entfremdet. Die 12-jährige Loreda ihrerseits träumt von mehr als von einem Leben auf der Farm, träumt davon, Schriftstellerin zu werden, mehr zu sein als nur Mutter, Ehe- und Hausfrau. Irgendwann fängt auch Raf an, über einen Aufbruch nach Kalifornien nachzudenken, doch Elsa bringt es nicht über sich die Farm und ihre Schwiegereltern zu verlassen, ist die Farm doch das einzige Zuhause, das sie je hatte. Doch eines Tages hat Elsa keine Wahl mehr: Sie müssen aufbrechen und ihr Glück in Kalifornien versuchen. In Kalifornien eingetroffen, wird ihnen das ganze Ausmaß des Dust Bowls und der Great Depression bewusst: Armut, Ausbeutung und eine moderne Form der Sklaverei sind alles, was dort auf »Leute wie sie« wartet. Trotzdem versuchen sie, das Beste aus einer ausweglosen Situation zu machen, ihr Leben irgendwie zu meistern.

Dieses Buch hat mich wirklich umgehauen! Ich habe lange nicht mehr so sehr mitgefühlt mit Charakteren wie bei Elsa und Loreda, in deren wechselnder Perspektive das Buch geschrieben ist und eine bewegende, herzzerreißende Geschichte einer Familie in einem Zeitraum von fast 20 Jahren erzählt. Zwar ist die Familie Martinelli nur Fiktion, trotzdem steckt unfassbar viel Wahrheit in der Geschichte: Die Begebenheiten der Great Depression, des Dust Bowls, der Situation der Flüchtlinge in Kalifornien sind – soweit ich das auf Grundlage meines American-Studies-Nebenfachs im Studium beurteilen kann – sehr gut recherchiert, wodurch Elsa und ihre Familie zu Stellvertreter*innen einer ganzen Bevölkerungsgruppe werden. Der Roman handelt von Liebe und Schmerz, Verlust, Heimatliebe und der Erkenntnis, dass nicht jeder Mensch gut und mitfühlend ist, sondern dass es auch solche gibt, die das Leiden zum eigenen Profit ausbeuten. Aus der Perspektive von Elsa und Loreda geschrieben, gibt der Roman zudem einen wichtigen Einblick in die starken Mütter, Töchter, Frauen der Zeit, ihrer Kraft, ihren Problemen, ihrem Widerstand gegen die Rolle der Frau und der Lebensrealität der Zeit. Vor allem aber handelt der Roman von Familie und der unendlichen Kraft, niemals aufzugeben, egal was das Leben einem in den Weg stellt. Ich habe so mitgefühlt, mitgelitten mit Elsa, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist. Beobachtete hoffnungsvoll die Beziehung zwischen Elsa und Loreda: Obwohl Loreda in vielerlei Hinsicht ein Abbild ihrer Mutter ist, müssen beide erst wieder zueinander finden. Ich schämte mich für alle, die Menschen wie sie selbst als unzivilisiert und tiergleich behandelten, nur, damit sie sie unterdrücken und ausbeuten können. Ich freute mich über jede*n, der/die Elsa ein Stückchen Menschlichkeit entgegenbrachte. 

Ein wirklich fesselnder und berührender Roman mit unglaublich starken und beeindruckenden Protagonistinnen, dem ich jede*m wirklich nur ans Herz legen kann!




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Daten zum Buch
Titel: Die vier Winde
Autor*in: Kristin Hannah
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Weber-Jarić
Verlag: Rütten & Loening
Hardcover | 516 Seiten | ISBN: 978-3-352-00943-3

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